Punk im »Toskana-Carrée«
Die besetzten Häuser in der Marienstraße und der Lessingstraße sind ein Stück Ehrenfelder Stadtteilgeschichte. Die ersten von ehemals zwölf Häusern wurden bereits 1977 besetzt, mittlerweile sind einige von ihnen abgerissen oder per Nutzungsvertrag legalisiert worden. Doch bis vor einigen Monaten waren noch fünf übrig: die Marienstraße 19, 21 und 23 sowie in der Lessingstraße die Hausnummern 11 und 21. Ende letzten Jahres räumte der einzige Bewohner der Lessingstraße 21, ein Kölner Musiker, das Feld – nach Aufforderung durch die Hauseigentümer, die Firma Kaiser Immobilien. Daraufhin wurde das Haus unbewohnbar gemacht: Die Fensterrahmen wurden herausgerissen und das Treppenhaus zerstört.
»So eine Art Salami-Taktik«
Im Sommer nun erging eine ähnliche Aufforderung zur Räumung an die Bewohner der Lessingstraße 11. »Wir vermuten dahinter so eine Art Salami-Taktik. Zuerst haben sie es dort gemacht, wo einer alleine wohnte, und jetzt kommen sie zu uns, weil wir lediglich zu zweit sind«, befürchtet einer der beiden Bewohner. Die BewohnerInnen der besetzten Häuser in der Marienstraße haben zwar bislang noch keine entsprechende Post bekommen, doch auch sie machen sich Sorgen. Und sie rücken den Betroffenen zur Seite.
Vor der Besetzung gehörten die Häuser der Firma Mauser KG, die auf dem damals noch vorhandenen Fabrikgelände inmitten des Blocks Marienstraße/ Lessingstraße/Thielenstraße unter anderem Bleche hergestellt und verarbeitet hatte. Mit Auflösung des Werks wurde das Gelände in den 70er Jahren an die Kaiser Firmengruppe verkauft. Deren Inhaber Franz Kaiser musste die Häuser mitkaufen, um an das Gelände zu kommen. Doch sein eigentliches Interesse galt anscheinend nur den Freiflächen – jedenfalls wurden fast alle MieterInnen vertrieben oder gekündigt. Danach standen die Häuser leer und verrotteten. So drohte allerdings im Sinne der NRW-Wohnraumzweckentfremdungsverordnung Ärger von Seiten der Stadt. Als dann die Häuser Zug um Zug besetzt wurden, gab es keine Gegenwehr von Kaiser: Wo BewohnerInnen sind, liegt keine Zweckentfremdung durch Leerstand vor.
Schandfleck: »Toskana-Carrée«
In den 80er und 90er Jahren geriet die Firma dann immer wieder negativ in die Schlagzeilen: Finanzlücken beim Bau des West-Centers in Bickendorf, die Hochhausruine an der Flughafenautobahn, Klüngelvorwürfe, finanzielle Probleme. Höhepunkt war die Entdeckung, dass der Boden des Mauser-Geländes hochgradig mit Schwermetall verseucht ist. Die Stadt Köln verfügte einen sofortigen Baustopp und Ausschachtungsauflagen. Seitdem gab es immer wieder Streit zwischen Bauamt, Umweltamt und Kaiser, der ziemlich hemdsärmlig die Auflagen mal kommentierte, mal ignorierte. Seit Mitte der 90er Jahre stehen die Bagger still – und im Herzen von Ehrenfeld prägt eine riesige ruhende Baustelle das Stadtteilbild, auf dem Baustellenschild wohlklingend als »Toskana-Carrée« bezeichnet, im Bezirksrathaus jedoch gern schlicht »Schandfleck« genannt.
Nach teilweise sehr aufwändigen Renovierungsarbeiten auf eigene Kosten, etablierten die BesetzerInnen in der Zwischenzeit Alternativkultur: In der ehemaligen Werkskantine an der Marienstraße wurden Konzerte und andere Veranstaltungen durchgeführt, alternative Betriebe wurden gegründet, und die Lessingstraße 11 wurde zur Anlaufstelle für Punks: Hier knüpfte man Kontakte, und im Keller durften Bands proben. Auch heute noch hat die Adresse einen guten Klang in der dazugehörigen Szene. Die Bewohner betrachten das Haus nicht nur als Wohneinheit, sondern auch als ein wichtiges Stück Subkultur.
Räumung schon im Februar?
Die neuerliche Räumungsoffensive der Kaiser Firmengruppe, die mittlerweile von den beiden Söhnen Franz Kaisers geführt wird, kommt zeitgleich mit der Ankündigung, dass die Bauaktivitäten zum Jahresende wieder aufgenommen werden – »nach zähen Verhandlungen mit dem Bauaufsichtsamt«, wie es in einem Schreiben der Firma heißt. Für die Lessingstraße 21 liegt nun eine Abrissgenehmigung vor. Hier soll eine Zufahrt zum »Toskana«-Gelände entstehen. Welche Pläne jedoch mit der Lessingstraße 11 verbunden sind, bleibt unklar. »Zunächst einmal wollen wir uns Zugang zum Gebäude verschaffen, um uns einen Eindruck vom Zustand machen zu können. Alles Weitere wird man dann sehen«, so Lars Kaiser, einer der beiden Inhaber der Immobilienfirma.
Für die Bewohner jedoch ist das wenig beruhigend, denn die Räumungsklage liegt vor, und am 5. November ist die erste Anhörung vor dem Amtsgericht. Was dort zu erwarten ist, bleibt auch für Michael Biela-Bätje, den Anwalt der Bewohner, Spekulation: »Ohne Mietvertrag liegt zumindest ein Leihverhältnis vor, das auch erst mal gekündigt werden muss. Aber wenn das Gericht das anders sieht, könnte eine Räumung schon im Februar drohen.« Eine profitable Nutzung des Grundstücks durch die Kaiser-Firmengruppe kann er sich jedoch kaum vorstellen, solange keine Abrissgenehmigung vorliegt. In der Zwischenzeit macht die Szene mobil: Am 30. Oktober wird im Bürgerzentrum Ehrenfeld ein Solidaritätskonzert mit drei Punkbands für die Lessingstrasse 11 veranstaltet. Mit dem Erlös sollen die Verfahrenskosten gedeckt werden.
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