Erleuchtung in Oberbayern: The Notwist, Foto: Johannes Maria Haslinger

Was man nicht so gut kann, ist immer spannend

The Notwist kommen auf Tour und feiern ihr 35. Bandjubiläum. Aber eigentlich auch nicht

Kollege Bernd Wilberg erzählt immer noch gerne von einem frühen Notwist-Konzert Anfang der 90er Jahre, das so klang, als spielten sie die Songs auf Diesel-Rasenmähern mit Fehlzündung. Maschine wird angestellt, nach drei Minuten wieder abgestellt. Dann das nächste Stück, gleiches Muster. Und so weiter. Aber heute? Was da über die Bühne cruist ist ein ­S-Klasse-Mercedes mit Hybridantrieb. Selten klingt Musik aus Deutschland so erhaben und gleichzeitig so lässig wie von The Notwist. Wer die (Ex-)Weilheimer Band um die Zwillingsbrüder ­Markus und Mich Acher und den Schlagzeuger Andi Haberl (»erst« seit 2007 dabei) auf ihren Konzerten erlebt, wird umhüllt von einem Spektakel aus Jazz und Krautrock und einer wundersam eigenwilligen Interpretation von Rock, die bei aller Raffinesse überraschend eingängig klingt. Aber auch kumpelig: Denn was sich nach 35 Jahren immer noch nicht geändert hat und nie ändern wird, ist der shaky Gesang Markus Achers ­—  Englisch mit notorisch deutschem Akzent.

Felix Klopotek

 

Hättet ihr 1989 gedacht, dass ihr so lange Bestand haben würdet?

Markus Acher: Nein, damals haben wir da natürlich nicht dran gedacht. Das ist ein steter Fluss. Als wir angefangen haben, war Musik nichts, wo man dachte, dass man das quasi die ganze Zeit beruflich machen würde. Was auch daran liegt, dass das Musikmachen vor allem ein Bedürfnis ist. Das haben wir gerade in der Corona-Zeit gemerkt. Es wird zwar irgendwann zu so einer Art Profession, und man macht es auch immer professioneller, aber im Grunde genommen macht man es, damit man nicht durchdreht.

Ihr habt »Vertigo Days«, euer letztes Studio-Album, 2021 veröffentlicht, mitten in der Pandemie.

Für eine Band, deren Einkünfte immer stark von Auftritten abhängig sind, war das sicherlich keine einfache Entscheidung. Für uns war damals nicht klar, wie das alles weitergeht. Keiner wusste das zu dem Zeitpunkt. Insofern waren diese ganzen Timing-Regeln, die es bei Veröffentlichungen immer gibt, außer Kraft gesetzt. Es war also auch eine Chance, diesen Rhythmus neu zu überdenken. Wir haben dann statt Konzerten eben viele Live-Streaming-Konzerte gegeben und Sachen digital veröffentlicht. Mit Hochzeitskapelle, unserer anderen Band, haben wir in Innenhöfen und auf Dächern gespielt. Es war eine Chance, alles nochmal neu zu hinterfragen und zu überdenken: Wofür macht man eigentlich Musik? Es war uns wichtig, uns zu treffen, eine Platte aufzunehmen und sie zu veröffentlichen, auch wenn keine Tour möglich ist.

In den 35 Notwist-Jahren hat sich viel getan, bei euch persönlich, bei The Notwist als Band, in der Musik­industrie und nicht zuletzt in der Welt. Was sind für euch die einschneidensten Veränderungen?

Die Art, wie Musik heute verbreitet wird, die Art, wie die Leute an Musik kommen, und auch die Kommunikationsformen und -wege, die Vernetzung. Also in unseren Anfangstagen hat man noch Demokassetten verschickt, Briefe geschrieben und für jedes Konzert Telefonate geführt. Damals druckte man ja auch noch die Telefonnummer und Adresse auf der Platte ab. Weshalb es auch viel schwieriger war, ins Ausland zu kommen. Diese neuen Vernetzungsmöglichkeiten heute sind positive Entwicklungen — auch wenn die damit verbundenen Monopolisierungen schwierig sind. Dennoch, die Vernetzung hilft dabei, dass sich immer wieder Nischen und kleine Szenen bilden. Wie unser Label Alien Transistor oder unser Alien Disko Festival, bei dem wir selbst immer wieder fasziniert sind, dass wir bei der Kuration stetig auf Leute am anderen Ende des Planeten stoßen.

Und die Nachteile?

Die negativen Konsequenzen dieser Internationalisierung ergeben sich daraus, dass sich über das Streaming alles anders kanalisiert und viel, viel weniger Geld zur Verfügung steht. Beispielsweise folgen keine Angebote mehr von großen Labels, die mit viel Geld um einen werben, und auch keine riesigen ­Verlagsvorschüsse mehr.

Aber im Grunde genommen macht
man Musik, damit man nicht durchdrehtMarkus Acher

Wie reflektiert ihr, dass sich eure Art des Songwritings über die Jahre — mit zunehmendem Alter und Erfahrun­gen — verändern musste?

Es gibt ja so eine klassische Form von Song, die wir von Anfang an immer hatten, schon in der frühen Punk-Phase. Das zieht sich durch bis heute. Man kann diese frühen Stücke ganz anders spielen, anders arrangieren — das machen wir auch immer wieder. Wir mögen einfach klassische Songs mit Strophe und Refrain, das ist immer schön. Aber gleichzeitig versuchen wir, das Schema auf­zubre­chen und Songs zu schreiben, die anders funktionieren. Manchmal geht das auf, manchmal nicht. Es ist immer ein Weiterüberlegen und Ausprobieren, was wir noch so machen können.

Welche Rolle spielt dabei die Impro­visation?

Wir haben bei den letzten Alben immer mit Improvisationen angefangen und nicht mit festen Songs. Was jetzt nicht be­deutet, dass alles total free ist. Sondern wir versuchen, Strukturen zu entwickeln, die anders ausfallen, als wenn man sich hinsetzt und ganz gezielt Akkorde sucht. Es ist halt schon so, dass man ein bestimmtes Vokabular hat und sich wiederholt. Bei mir ist das zumindest so. Ich setze mich hin, und bei vier von fünf Akkordfolgen denke ich mir, dass ich schon zehnmal hier angekommen bin. Aber dann kommt man irgendwann wohin, wo wieder was kommt, wo ich denke, das können wir weiterentwickeln. Beim Improvisieren entsteht natürlich ganz viel, was wir nicht verwenden, weil es einfach nirgendwo hinführt. Für »Vertigo Days« sind aber auf jeden Fall ­Sachen entstanden, aus denen Songs geworden sind, die zu Hause einzeln bei uns so nicht entstanden wären, einfach weil andere Strukturen greifen, andere Akkorde verwendet werden, ein anderes Tempo, eine andere Tonlage. Es ist immer spannend, das zu machen, was man noch nicht so gut kennt und kann.

Früher waren The Notwist sehr eng mit eurer Heimatstadt Weilheim verbunden, es gab ein ein­maliges Soziotop aus Bands und Labels. Ab Mitte der Nuller Jahre löste sich dieses sozial-kulturelle Geflecht auf, ihr lebt jetzt  schon lange in München. Parallel dazu hat das digitale Zeitalter neue Möglichkeitshorizonte der Kooperationen ergeben, was sich bei euch unter anderem in Zusammenarbeiten mit japanischen Musiker:innen und Tourneen in Japan und den USA manifestierte. Wie fühlt sich diese neuen Community, die ihr euch aufgebaut habt, für euch an?

Aus Japan kam schon wahnsinnig viel Inspiration. Da haben wir unglaub­lich viel gelernt: Wie die ­Musik machen; wie ihr Verständnis davon ist; wie sie kommunizieren. ­Gerade die Szene um die Band Maher Shalal Hash Baz, ein Kollektiv um Tori Kudo herum, ist wirklich faszinierend. Da gibt es einen unglaublicher Respekt vor dem Musik-Machen — und auch vor dem Fehler-Machen. Das ist für sie ein Teil der Musik. Da spielen Leute mit, die sind sehr gute Musiker und können technisch wahnsinnig gut spielen, aber auch welche, die spielen nicht so gut. Bei unserer Hochzeitskapelle gibt es auch die Chance dazu, aber man muss dann akzeptieren oder respektieren, dass sehr viel spontan passiert und man dann nicht mehr ausbessern kann, sondern die Sachen eben so sind wie sie sind, und wenn dann da ein Fehler drauf ist, dann ist das halt so. Das ist ein Teil der Schönheit dieser Musik. Das haben wir in Japan auf jeden Fall gelernt. Wir haben auch viel von der Art und Weise, wie die japanischen Musiker  auftreten — da gibt es große Ähnlichkeiten zur Hochzeitskapelle —, gelernt. Beispielsweise dass man in den Zuschauerraum reingeht und rumspaziert. Solche Sachen, die nichts von einer Mitmach-Theatergruppe haben, sondern die einfach aus dem Spaß zu spielen heraus zustandekommen. Es gibt in Japan nicht so viel Distanz zum Publikum. Das war sehr cool, das zu ­erleben und davon zu lernen.

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Konzert: Di 23.4., Carlswerk Victoria, 20 Uhr