courtesy: Museum Ludwig Köln. Foto: Dörte Boxberg

Der Künstlerkommunist

Das Museum Ludwig ehrt Otto Freundlich mit der ersten Retrospektive seit vierzig Jahren. Ein Gespräch mit der Kuratorin Julia Friedrich

Seine bekannteste Arbeit, und damit ist man schon mitten im katastrophischen 20. Jahrhundert, ist der »Große Kopf«. Die Nazis setzten die Skulptur 1937 auf das Cover ihres Ausstellungsführers »Entartete Kunst«. Otto Freundlich, geboren 1878 in Pommern und im März 1943 vermutlich im KZ Sobibor ermordet, war als Jude, Künstler und bekennender Kommunist gleich mehrfach verfemt. Diese Geschichte seiner Ausgrenzung prägt bis heute die Rezeption, erklärt Julia Friedrich. Sie beschreibt Otto Freundlich, diesen Autodidakt, der zeitlebens in prekären Verhältnissen lebte und arbeitete, als bekannten Unbekannten: Unter Spezialisten und Museumsleuten außerordentlich geschätzt, vertreten in fast jedem größeren Museum in Deutschland — dennoch kennen nur wenige das Werk in seiner Gesamtheit. »Kosmischer Kommunismus« ist die Ausstellung betitelt, die das ändern will. Mit rund achtzig Exponaten zeichnet sie Werk, Denken und Leben Freundlichs nach. 

 

 

Frau Friedrich, Sie arbeiten seit zwei Jahren intensiv an dieser Ausstellung. Wie sind Sie an das Projekt herangegangen?

 

Mir ging es einfach darum, diesem besonderen Künstler gerecht zu werden, der viel zu wenig bekannt ist. Zu schauen, was war sein eigener Anspruch an sein Werk, was war ihm wichtig, und das zu vermitteln. 

 

 

Was war ihm denn wichtig?

 

Etwa der politische Aspekt seiner Kunst. Mit seinen abstrakten Bildern, die sehr bestechend sind durch ihre Farben, hat er immer einen politischen Anspruch verbunden. Den versuchen wir schon durch den Titel »Kosmischer Kommunismus« zu transportieren, auch indem wir auch seine eigenen Texte präsentieren, um die Gedanken hinter den Bildern zu erläutern. Der zweite Aspekt ist sein Weg über die angewandte Kunst zur Abstraktion — dieses handwerkliche Arbeiten, das seinen späteren Werdegang bestimmt hat.

 

 

»Kosmischer Kommunismus« ist ein grandioser Titel. War er ein Linker und was war seine ganz persönliche Utopie?

 

Heute würde man sagen: Er war ein radikaler Linker. Das waren ja damals viele. Freundlich hat sich in der Novemberrevolution engagiert, er war in allen diesen Gruppen — Arbeitsrat für Kunst, Novembergruppe — sehr aktiv und auch eine zentrale Figur. Er war Kommunist, hat das aber in seinen Bildern nicht so ausgedrückt, wie wir das etwa von John Heartfield kennen. 

 

 

Es gibt keine expliziten politischen Botschaften.

 

Genau, keine Agitation. Es gibt kleinere Hinweise, zum Beispiel dieses Bild »Mon ciel est rouge«, das er 1933 malt. Dazu existieren drei Vorzeichnungen, da sieht man, dass es ursprünglich zwei Fahnen gab, rot und schwarz, also eine kommunistische und eine anarchistische Fahne. Aber das ist die große Ausnahme. Er war ein hochtheoretischer Künstler: Abstraktion meint hier wirklich ein abstrahierendes Denken. Er sah diese Farbfelder als Zeichen für eine offene Gemeinschaft, für das Kollektive.

 

 

Und wie kommt der Kosmos ins Spiel?

 

Es geht darum den Dualismus aufzuheben, zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Ding, dem Individuum und der Welt, der Welt und dem Kosmos: alle diese Grenzen aufzuheben! Das ist natürlich ein utopischer Gedanke. Dabei war Freundlich ein sehr klarer Geist, früh informiert über wissenschaftliche Erkenntnisse und die neuesten Entwicklungen in der Physik: Dass man ein Ding einfach als Ding ansieht, diese Weltsicht existierte schon nicht mehr bei Freundlich, weil er mit den Naturwissenschaften vertraut war. Wir haben auch seine Maltechnik näher erforscht und gesehen, wie systematisch er vorgegangen ist: feinste Malweise, alles schon in den Vorzeichnungen notiert, hier Rot, dort Blau, da Grün.

 

 

Sie bezeichnen Freundlich als einen der originellsten Abstrakten des 20. Jahrhunderts. Wie ordnen Sie ihn in die Kunstgeschichte ein?

 

Es ist ein eigenständiges Werk, das sich von Kandinsky oder anderen Abstrakten unterscheidet, aber sie haben an ähnlichen Fragen gearbeitet. Dieses gemeinschaftliche Arbeiten stand ja für viele Künstler Anfang des 20. Jahrhunderts im Vordergrund, also sich nicht abzugrenzen, sondern gemeinsam eine Idee zu entwickeln, wie man weiterkommt. Freundlich hat früh an der Abstraktion geforscht, hat manchmal auch wieder zurückgegriffen auf gegenständlichere Formen, aber entscheidend war diese Suche nach einem adäquaten Ausdruck für das, was in der Zeit passiert.

 

 

Wird dieser zeitgeschichtliche Kontext auch dargestellt in der Ausstellung?

 

Absolut. Es gibt Saaltexte zu Leben und Werk, auch zum Komplex der sogenannten »Entarteten Kunst«. Und es gibt diesen wirklich beispiellosen Akt der Solidarität von einer Gruppe von Künstlern und Schriftstellern, 1938, zu Freundlichs 60. Geburtstag in Paris, als er in Deutschland verfemt war. Sie riefen auf Geld zu spenden und spendeten selbst, damit ein Werk Freundlichs für den französischen Staat angekauft werden konnte. Da merkt man die große Wertschätzung für ihn als Künstler und als Person. Die Arbeit, eine große Gouache, hängt heute im Centre Pompidou,  wir stellen sie zusammen mit einer Dokumentation des Aufrufs aus. 

 

 

Eine Schwierigkeit bei der Darstellung des Gesamtwerks dürfte sein, dass viele Arbeiten in der Nazizeit zerstört wurden. Können Sie den verlorenen Anteil beziffern?

 

Das lässt sich ganz schwer sagen. Ein großer Teil des Frühwerks ist zerstört oder verschollen. Manches ist dokumentiert, anderes nicht. Da ist einfach eine Lücke, die ist historisch begründet, und die muss man auch meiner Meinung nach zeigen in der Ausstellung. 

 

 

Wie durch ein Wunder erhalten geblieben ist das Mosaik »Die Geburt des Menschen«, das 1954 im neuen Kölner Opernhaus installiert wurde. Trotzdem kennen es viele Kölner gar nicht.

 

Die Arbeit gehörte Josef Feinhals, einem Kölner Sammler, in dessen Auftrag sie 1919 entstanden war. Sie lagerte im Schuppen einer Mosaikwerkstatt, nach dem Krieg hat seine Witwe sie der Stadt gestiftet. Es ist wirklich wundervoll, dass wir dieses Hauptwerk in der Ausstellung zeigen können, bevor es zurück ins sanierte Opernhaus geht.

 

 

Museum Ludwig, 18.2.–14.5., Eröffnung Fr 17.2., 19 Uhr. 

Es erscheint ein umfangreicher Katalog zu Leben und Werk des Künstlers