Streifenparadies im Norden Europas: Fahrradwege in Kopenhagen, Foto: Hans-Christoph Zimmermann

Kein Rührei im Fahrradkorb

Mehr Kopenhagen wagen: Selbstversuch in der Fahrradhauptstadt der Welt

Beim Thema Kopenhagen kommen alle ins Schwärmen — selbst Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die Marketingmaschinerie der dänischen Hauptstadt und ihrer »Cycling Embassy« funktioniert reibungslos. Den Ruf der grünen und vernetzten Fahrradhauptstadt der Welt hat jeder vernommen. Wir machen einen Selbstversuch: Fünf Tage Kopenhagen — drei mit Fahrrad, zwei ohne.

 

Die erste Entdeckung, die uns begeistert, sind die zweispurigen Radwege mit Fahr- und Überholspur in beiden Richtungen, und zwar auf allen wichtigen Verkehrsachsen. Was in Köln emphatisch »Radschnellweg« heißt, ist in Kopenhagen Normalität. Die Radwege sind völlig eben, ohne lockere Pflastersteine, ohne Baumwurzeln, ohne Schlaglöcher. Ein Eierkarton lässt sich in Kopenhagen ohne Schaden im Fahrradkorb transportieren, in Köln wird daraus nach 100 Metern Rührei. Die kölsche Aufhebung der Benutzungspflicht von Radwegen erscheint da eher als Sparmaßnahme, denn als Qualitätsverbesserung.

 

Viel wichtiger aber: Die Radwege sind durch Bordsteinkanten zum Fußgängerweg und zur Fahrbahn der PKW abgesetzt. Bei einmündenden Straßen zeigt ein blauer Streifen, dass Fahrräder Vorfahrt haben, Bordsteinkanten sind mit Asphalt zu Rampen abgeflacht. Die Wirkung für das Sicherheitsgefühl ist enorm. Es geht nicht wie in Köln um Shared Space, Schutzstreifen, Radwege auf dem Bürgersteig oder die Freigabe von Einbahnstraßen. In Kopenhagen sind Radwege ein für andere Verkehrsteilnehmer tabuisierter Teil des städtischen Raums. Ihre Mitbenutzung ist nicht verhandelbar. Es geht um strikte Funktionstrennung. Ich habe keinen LKW oder PKW, aber auch keinen Fußgänger gesehen, der es gewagt hätte, darauf auch nur kurzzeitig anzuhalten oder zu laufen. Ist die Verkehrs-Atmosphäre in Kopenhagen vielleicht deshalb entspannter und rücksichtsvoller als in Köln? Kaum Hupen, kaum Klingeln. Mehr als ein ermahnendes »Hey, hey!« bei einem Fahrfehler habe ich jedenfalls nicht zu hören bekommen.

 

41 Prozent aller Wege zu Arbeit und Ausbildung werden in Kopenhagen mit dem Rad zurückgelegt. Zur stärksten beradelten Achse gehört die Nørrebrogade, die aus dem Zentrum ins In-Viertel Nørrebro und weiter nach Westen führt. Sie setzt ein Fragezeichen hinter die Kölner Idee eines innerstädtischen Radwegenetzes. Der Großteil der Kopenhagener wie der Kölner wohnt in den Vierteln und kommt für Konsum und Arbeit ins Zentrum. Deshalb wurden vor allem die Radialstraßen in die Viertel wie die Nørrebro-, die Vesterbro- oder Amagerbrogade mit vier Radspuren ausgebaut. Pendants dazu wären in Köln: die Bonner, Aachener, Deutz-Kalker oder Bergisch-Gladbacher Straße. Das ist keine leichte Aufgabe, das lässt sich am Preis ablesen, den Kopenhagen dafür gezahlt hat: Viele Ausfallstraßen sind für PKW nur zweispurig befahrbar, Parkplätze und Bäume Mangelware, obwohl die Stadt trotzdem grün wirkt. Nichtsdestotrotz ist die Teilhabe aller am Verkehr gewährleistet. Niemand wird — wie etwa bei der in Ehrenfeld geplanten Umwidmung der Marienstraße zur Fahrradstraße — auf einen Nebenschauplatz verbannt.

 

Während im Kopenhagener Verkehr auf Funktionstrennung gesetzt wird, geht es auf Plätzen, Bürgersteigen und in Fußgängerzonen eher um Funktionsmischung. Obwohl die Stadt klimatisch gegenüber Köln tendenziell benachteiligt ist, gibt es gefühlt doppelt so viele Straßencafés in den Vierteln. Selbst die vielen Fußgängerstraßen der südlichen Innenstadt vom Kongens-Nytorf-Platz bis zum Rathaus sterben abends nicht aus: Cafés, Kneipen und Clubs sorgen für Leben nach Geschäftsschluss. Die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum fühlt sich durchweg höher an als in Köln. Das können Cafés und Restaurants auf dem Gråbrødretorv sein, das kann ein riesiger Kinderspielplatz auf dem Hauserplads oder eine Skaterbahn auf dem allerdings etwas missratenen Israelplads sein. Das können aber auch Molen mit Grünflächen oder Betonbelag bei Islands Brygge oder auf dem Ofeliaplads sein. Räumliche und ästhetische Gestaltung wie Bodenbelag, Beleuchtung, Geh-, Sitz- und Liegemöglichkeiten richten sich nach der Nutzung. Missratene oder schlicht unbenutzbare Plätze wie der Neumarkt, Chlodwigplatz oder Yitzhak-Rabin-Platz findet man in der dänischen Hauptstadt nicht. Und selbst der Nørreport-Platz, an dem sich U- und S-Bahn, Fernbahn und Buslinien kreuzen und der täglich von 250.000 Menschen frequentiert wird, bleibt übersichtlich und ohne dunkle Ecken. Das Archipel mit sechs überdachten Inseln ist strikt an den Nutzerrouten der Fußgänger ausgerichtet und verfügt zudem über abgesenkte und beleuchtete »Fahrrad-Betten« für 2500 Räder. Natürlich gibt es dort auch Dealer und Obdachlose, doch durch Sitzgelegenheiten und Cafés bleibt der Platz einsehbar. Außerdem lassen sich die Kopenhagener den öffentlichen Raum nicht streitig machen.

 

Die dänische Hauptstadt ist nicht das Paradies. Aber ein wenig mehr Kopenhagen wagen — das könnte Köln tatsächlich nicht schaden.