Killer-Nixen und Kannibalinnen

Fünf blutige Höhepunkte aus dem Programm des Fantasy Filmfest

Blade of the Immortal & Miike Takashi Special

Das Fantasy Filmfest behauptet, »Blade of the Immortal« (2017) sei Miike Takashis hundertster Film. Wenn man die ganzen Direct-to-Video- und TV-Arbeiten des 58-Jährigen mitzählt, dürften es mehr sein. Aber was auch immer der Anlass für das Special ist: Mehr Miike auf der Leinwand ist immer gut. Drei seiner Werke zeigt das Fantasy Filmfest. Sein aktueller Film »Blade of the Immortal« ist ein in Blutströme gebadetes Samurai-Schauer-Spektakel über einen unsterblichen Schwertkämpfer auf ewigem Rachefeldzug. Gezeigt wird außerdem der Film, der ihn weltweit bekannt machte: »Audition« (1998), die proto- und pulpfeministische Studie einer Frau, die genug hat und sich in eine folterlustige Furie verwandelt. Das Trio komplett macht »Lesson of the Evil« (2012), ein ebenso sarkastischer wie handfester Kommentar zur japanischen Schulmisere — die ziemlich monumental sein muss, wenn man sieht, wie viele japanische Filme und Serien den Klassenraum zum Schlachtfeld machen.

 

Land of the Little People

Wenn man nach subversiven israelischen Filmen sucht, wird man im Galerien- und Museumskunstfeld für gewöhnlich eher fündig als in der staatlich geförderten Kinoproduktion. Yaniv Bermans mächtig von »Herr der Fliegen« inspirierter »Land of the Little People« (2016) entstand denn auch am Rande des Betriebs, mit Geld, das ein palästinensischer Produzent aufzutreiben wusste. Wie es sich für ein Stück aufklärerischer Unterwanderungsunterhaltung gehört, wird auch in »Land of the Little People« das eigentliche Thema, die psychologische Grundstruktur des Staates Israel, nie groß benannt und diskutiert; auch wenn ein Zitat des zionistischen Denkers und Staatsvaters Israels, Theodor Herzl, schon zu Beginn gewisse Gedankenräume öffnet. Stattdessen bekommt man das Problem sauber durchstrukturiert und demonstriert in Form einer Fabel über vier Kinder. Die beginnen einen Kleinkrieg mit zwei fahnenflüchtigen Soldaten in einer verlassenen Kaserne und handhaben erschreckend selbstverständlich selbstgebaute wie gefundene Waffen.

 

The Mermaid

Stephen Chow (»Kung Fu Hustle«) ist für bizarr-hintersinnige Großwerke bekannt, bei denen sich Spektakel und Aufklärung »Gute Nacht« und »Guten Morgen« wünschen. Seins ist das Kino, welches Gott meinte, als er im späten 19. Jahrhundert Erfindern/Künstlern/Spekulanten an verschiedenen Orten der Welt die Idee vom Film einflößte. Keine Übertreibung! »The Mermaid« (2016) setzt neue Maßstäbe in Sachen Durchgeknalltheit. Im Zentrum der Handlung steht eine Killer-Nixe, die trainiert wurde, auf ihrer Flosse wie auf Füßen zu gehen, um sich unbemerkt unter die Menschen mischen zu können. Diese Killer-Nixe (macht das Spaß, das zu schreiben: Killer-Nixe!) wird auf einen charmanten Bonvivant und Umweltzerstörer angesetzt. Natürlich kommt alles anders als erwartet. Chow erweist sich mal wieder als Meister des Wortwahnwitzes, der seinen völlig grotesk-verstiegenen Sprachspielkaskaden Vergleichbares an Bildern entgegensetzt. Er traut sich, Wendungen und Zwischenspiele in die Geschichte einzubauen, bei denen einem irgendwann einfach nichts mehr einfällt. Hier kann man wirklich einmal sagen: Das habe ich noch nie gesehen!

 

Playground

Wenn man sich in den letzten fünf Jahren einmal eine ganze Jahresproduktion polnischer Spielfilme anschauen durfte, dann weiß man, wie »normal« Bartosz Kowalskis »Playground« nach lokalen Standards ist. Das heißt: Filme über Kinder oder Jugendliche, die ihresgleichen in unfassbar deprimierenden Stadtlandschaften zwischen Platte und Mall foltern oder umbringen, sind genau so ein im internationalen Festivalzirkus gut platzierbares Nationalklischee wie zum Beispiel im österreichischen Kino Tanzszenen mit sexuell frustrierter Disko-Schönheiten. Was nicht heißt, dass die polnische Hardcore-Depri-Arthouse-Schule nicht ab und an genuin Verstörendes hervorbringt. Wie eben »Playground«, der neben seiner extrem kontrollierten Inszenierung durch einen perfiden Drehbucheinfall besticht: Die Vorgänge des Films halten sich ab der Mitte des Films sehr eng an das, was man über die Ermordung des dreijährigen James Bulger 1993 in Liverpool weiß — versetzt eben in eine postkommunistische osteuropäische Stadt. Ergebnis: ein metaphysisches Kriminalhorrorstück.

 

Raw

Im tiefsten Inneren hoffen alle Freunde des Tierfleischgenusses dieser Tage, dass die mit ihrer moralischen Überlegenheit nervenden Vegetarier oder Veganer nichts anderes sind als Carnivore, die ihre ureigensten Instinkte mit Gewalt unterdrücken — aus Lustfeindlichkeit wie auch einer umfassenderen Angst, Bedürfnisse nicht unter Kontrolle kriegen zu können. Julia Ducournau hat diese Ahnungen und Fantasien in eine exzesslustige und frostig-designbewusste, filmische Form gegossen, die bis ins Kräuseln des kleinsten Unterschenkelhaares durchgestaltet ist. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die die Kannibalin in sich entdecken darf und damit den eigenen Körper — und auch den vieler anderer Lebewesen. Am intellektuell ergiebigsten ist das Ganze immer dann, wenn das Selbstreglementierungswilllige, Hierarchien(sehn)süchtige der Bewohner westlicher Industrienationen im Zeichen neoliberaler Grausamkeiten satirisch aufgespießt wird.