Ein Mann bereitet sich auf seinen Auftritt vor: »Mr. Gay Syria«, Foto: Ayse Toprak

Unter dem Schleier der Vorsicht

Die Filmreihe »Tüpisch Türkisch« zeigt, wie eine Filmnation in Zeiten von Generalverdacht und politischem Misstrauen Mut und Problem­bewusstsein beweist

 

Seit dem Jahr 2006, in dem »Tüpisch Türkisch« startete, hat sich viel verändert. Die türkische Filmlandschaft zwischen Multiplex-Blockbustern und Arthouse-Festival-Lieblingen hat immer auch das politische Klima im Land reflektiert und gespiegelt. Die ersten Jahre der Kölner Filmreihe, so erinnert sich Kurator Amin Farzanefar, fiel mit der frühen, eher gemäßigt-liberalen Regierungszeit Erdogans zusammen, die mit einer Aufbruchsphase des türkischen Films einherging: »Ob das wegen, trotz oder losgelöst von ihm passiert ist, ist schwer zu sagen, doch sind in dieser Zeit erstmals Filme entstanden, die sich mit Tabuthemen wie dem Militärputsch von 1980 oder dem Alltag der Kurden beschäftigt haben.« Dass sich derlei Freiheiten im Moment zurückentwickeln und populäre Künstler in ihrer Themenwahl wieder vorsichtiger werden, zeugt von weitaus schlechteren Zeiten. Politisch gelenktes Misstrauen hat das Klima vergiftet und einen Schleier der Vorsicht übers das türkische Kino gelegt.

 

In diesem Kontext wirkt selbst eine Sommerballade wie Özay Kanats »A Damp Squib« politisch. Das mit wenig Geld und viel Herzblut gedrehte Kleinod kommt zunächst wie die Liebesgeschichte eines Landeis und einer Studentin daher, entwickelt sich dann aber zu einem Schlüsselfilm über eine Jugend, die einem lähmenden Status Quo entfliehen will. Ob es Regiedebütant Kanat gelingen wird, sein Potenzial bald in aufwändigeren Produktionen zur Entfaltung zu bringen, bleibt angesichts des politischen Klimas offen. »Eine offizielle Zensur gibt es nicht«, sagt Farzanefar. »Doch wenn ein Künstler, der in den Verdacht gerät, unbequem zu sein, keine Förderung bekommt, ist auch keine Zensur nötig.« 

 

Dennoch gibt es Chancen für unabhängige Produktionen, das zeigt Ceylan Özgün Özçelik. Özçelik finanzierte ihren Politthriller »Inflame — Kaygı« mittels Crowdfunding. Özçeliks Film, der auf der diesjährigen Berlinale Premiere feierte, erzählt von einem fiktiven Nachrichtensender, der mehr und mehr zum Regierungssprachrohr wird und kritische Stimmen ins Abseits mobbt. »›Inflame‹ ist ein gutes Beispiel für die derzeit zahlreich entstehenden Filme mit dystopischem Anstrich, die in der Zukunft oder parallelen Welten spielen, die mit der Gegenwart in bestimmten Ländern natürlich gar nichts zu tun haben...«, so Farzanefar.

 

In Ayșe Topraks  »Mr. Gay Syria«  wird des einen bitterer Alltag zu des anderen Sehnsuchtsort. Die Dokumentation zeigt die Versuche des syrischen Flüchtlings Hüseyin, in Istanbul seine Heimat bei der Mr.-Gay-World-Wahl zu vertreten, und gibt dabei Einblicke in die LGBTQ-Szene der Stadt. Statt vornehmlich gesellschaftliche und persönliche Ächtung anzuprangern, zeichnet Toprak ein lebensbejahendes Bild einer Gemeinschaft und ihrer gelebten Solidarität. Im Alltag der vermeintlichen Normgesellschaft bleibt dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit allzu oft aus, wie sich in den Sozialdramen von Çiğdem Sezgin und Yeșim Ustaoğlu zeigt. Während Sezgin in »Wedding Dance« von den Daumenschrauben kleinbürgerlicher Konventionen berichtet, gegen deren Bedenken eine geschiedene Mittvierzigerin und ein deutlich jüngerer Taxifahrer für ihre Beziehung einstehen müssen, widmet sich Ustaoğlu in »Clair Obscur« in unterkühlten Bildern den Klassengräben zwischen moderner Mitte und den Abgründen türkischer Unterschichtsbiografien.

 

Auch und vor allem die Frage, wer Geschichte schreiben darf, bietet Anlass zur Diskussion. Nezahat und Kazım Gündoğan haben sich bereits mehrmals dokumentarisch mit den Massakern an alevitischen Kurden in der Region Dersim auseinandergesetzt, in »Children of Vank« gehen sie nun einen Schritt zurück und beleuchten die Vorgeschichte der Verbrechen. Angefangen vom Völkermord an den Armeniern über die Vertreibung religiöser Minderheiten, die im Dersim-Massaker 1938 mündeten. Wie kritisch Geschichtsschreibung im Jahre 2017 sein darf und welchen Gegenwind Filmemacher zu erwarten haben, können die anwesenden Regisseure im Anschluss an die Vorführungen auch persönlich gefragt werden.

 

Über die Lager hinweg unbestritten ist der künstlerische Status von Yilmaz Güney. Hüseyin Tabak schildert in »Die Legende vom hässlichen König« Leben und Werk des Regisseurs und Volksschauspielers, dessen sozialistische Überzeugungen zwar nicht von jedem geteilt, dessen Rückgrat und Bereitschaft, für sie einzustehen, jedoch stets respektiert wurden. Als Güney 1974 in einem bis heute umstrittenen Mordprozess für schuldig befunden und zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, bedeutete dies auch nicht das Ende seiner Karriere. Der in der Zelle genau konzipierte und von fremder Hand gedrehte »Yol – Der Weg« wurde sein Vermächtnis und ein Meilenstein des türkischen Films. Legenden ist auch von Seiten der Ideologen schwer beizukommen. Versucht wird es dennoch. »Es gibt ein paar Stimmen, die versuchen hier und da an seinem politischen Vermächtnis zu rütteln«, weiß Farzanefar und fährt fort: »Da wird dann gesagt, er sei ein Genie gewesen, aber seine politischen Überzeugungen hätten seine künstlerische Vision getrübt. Man versucht es, aber es gelingt nicht wirklich.«