Diese Bibliothek hat er aufgebaut: Sharo Garip an der Universität Van, Foto: privat

Gefangen im ­Freiluftgefängnis

Der Kölner Sharo Garip wird seit zwei Jahren in der Türkei festgehalten — ohne Anklage oder Prozess

 

»Ich habe einen neuen Job«, sagt Sharo Garip und lächelt. »Ich bin jetzt Reiseführer für meine Freunde aus Deutschland.« Garip ist deutscher Staatsbürger und lebt in Istanbul. Der 51-Jährige nennt es sein »Freiluftgefängnis«. Am 15. Januar 2016 stand die Polizei vor Sharo Garips Tür in Van im Osten der Türkei. Kurz zuvor hatte er mit über 2000 anderen die Online-Petition »Akademiker für den Frieden« unterzeichnet, in der die türkische Regierung aufgefordert wird, wieder Friedensverhandlungen mit der kurdischen Partei PKK aufzunehmen. »Die Erklärung war sicher einseitig, wir haben die PKK nicht als Adressaten erwähnt«, sagt Garip. Eine Nacht musste er im Gefängnis verbringen, seine Stelle an der Universität Van hat er verloren, gegen ihn wurde ein Ausreiseverbot verhängt. Die deutsche Botschaft in Ankara riet ihm, sich ruhig zu verhalten. Um Schutz in der Anonymität zu finden, ging er nach Istanbul. Dort wartet er auf seinen Prozess — seit fast zwei Jahren.

 

Am 5. Dezember sollen nun die ersten Akademiker wegen der Petition vor Gericht gestellt werden. Sharo Garip ist noch nicht dabei. Aber er kennt die Vorwürfe, die seinen Mitunterzeichnern gemacht werden: »Unterstützung der Terrororganisation PKK, Verletzung des Türkentums, Beleidigung des türkischen Staats — was möglich ist, kommt rein.« Dahinter stecke ein Prinzip: »Mit dem Terrorismus-Vorwurf versucht man, die Seele der Leute zu kastrieren.« Es sei mittlerweile üblich, öffentliche Äußerungen — von Facebook-Postings bis zu akademischen Artikeln — in eine Anklage einfließen zu lassen, ohne dass man den Angeklagten persönlichen Kontakt zu Organisationen wie der PKK nachweisen könne. Auch im Fall Garip dürfte seine Forschung gegen ihn verwendet werden. Er hat in Köln in Politikwissenschaft über ethnische Konflikte promoviert, in Van forschte er zur Assimilation der kurdischen Sprache.

 

Die deutsche Botschaft unterstützt Garip mit einem kleinen Wohngeld. »Aber ihre diplomatischen Bemühungen haben nichts gebracht«, bedauert er. Auch Versuche, Garip nach Deutschland zu holen, haben nicht gefruchtet. Die Uni Köln wollte ihn als Dozenten einladen, der Rat der Stadt Köln hat eine Resolution zu seiner Unterstützung verabschiedet, Prominente wie Günter Wallraff oder Lale Akgün haben einen Solidaritätsbrief unterzeichnet — ohne Ergebnis. »Die Staatsanwaltschaft sagt, ich sei fluchtgefährdet«, so Garip. Dabei existiere doch ein Rechtshilfeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei, aus der Garip Anfang der 90er Jahre wegen seiner kurdischen Herkunft geflohen ist: »Heute ist es schlimmer. Damals wussten wir noch, was verboten war. Jetzt herrscht nur noch Willkür.«