Regisseur Stefan Herrmann träumt von einem »Junkie-Theater«, Foto: Sommerblut

»Theater lebt vom Konflikt«

In »Drugland« inszeniert Stefan Herrmann für das Sommerblut-Festival mit

Schauspielern und Drogenabhängigen einen Rundgang über den Neumarkt

Der Neumarkt ist gleichzeitig Shoppingzone und Drogen-Hot-Spot, alteingesessenes Wohngebiet und No-Go-Area, Konsum- und Gefahrenzone. Mit einem Ensemble aus professionellen Schauspieler_innen und Leuten aus den verschiedenen Interessensgruppen sammelt das Theaterprojekt Geschichten und Positionen aller Beteiligten und fügt sie zusammen. Ein Gespräch mit Regisseur Stefan Hermann über Sichtbarkeiten.

 

 

Stefan, wie kamst Du auf die Idee zu Drugland?

 


Rolf Emmerich vom Sommerblut Kulturfestival hat mich 2016 gefragt, ob ich zum Thema Drogensucht ein Theaterstück machen möchte. Es ist klassische Projektarbeit, aber Rolf wusste natürlich, dass ich schon vorher Stücke mit Laienschauspielern, oder wie wir es nennen: »Experten des Alltags«, realisiert habe. Drogenabhängige in das Stück zu integrieren war von Anfang an vorgesehen. 

 

 

Was sind die Besonderheiten am Neumarkt?

 


Orte wie diesen gibt es in jeder Großstadt. Hier treffen die Interessen von unterschiedlichen Gruppen direkt aufeinander. Seit 2016 gibt es die Debatte um einen Drogenkonsum-Raum, wie ihn die Stadt einrichten will. Dagegen hat sich am Neumarkt eine Bürgerinitiative von Anwohnern und Geschäftsleuten gewandt, deren Sorge es ist, dass ein solcher Raum die Szene noch stärker zum Neumarkt führt. Wir wollten das Theater-Projekt genau dort verorten, wo der Konflikt offen zutage tritt.

 

 

Was sind die Besonderheiten beim Theater im öffentlichen Raum?

 


Für mich ist Theater ein Ort der Konzentration. Im öffentlichen Raum aber hat man es mit Faktoren zu tun, die nicht zu beeinflussen sind. Es gibt Lärm oder Passanten, die dazwischen laufen. Dafür ist das Publikum aber mittendrin im Geschehen und kann das Milieu erspüren, in dem das Stück spielt.

 

 

Wie war die Herangehensweise an das Projekt?

 


Es gab vorab keinen Text. Wir haben mit allen Interessengruppen, also den Geschäftsleuten, den Ordnungskräften und Sozialarbeitern sowie den Drogenabhängigen lange Gespräche geführt. Zwölf Drogenabhängige, die meisten in Substitutionsprogrammen, werden im Stück mitspielen, die Aussagen der übrigen Gesprächspartner wurden in Theatertexten verarbeitet und dienen den vier professionellen Schauspielern als Grundlage. Dazu kommen noch eine Straßenmusikantin und ein Tänzer.

 

 

Gab es Widerstände?

 


Anfangs hatte die Bürgerinitiative »Zukunft Neumarkt« Vorbehalte, das ihr Anliegen falsch oder verzerrt eingebracht wird. Die hatten schlechte Erfahrungen gemacht. Aber es ist uns gelungen, Vertrauen aufzubauen. Es geht im Stück darum, allen Seiten gerecht zu werden. 

 

 

Kann Kunst helfen, die Konflikte zu lösen?

 


Theater lebt vom Konflikt. Ich mag Stücke, bei denen ich als Zuschauer merke, dass beide Konfliktseiten auf gewisse Weise Recht haben. Wenn wir dem Zuschauer erfahrbar machen, dass es bei so einem komplexen Thema keine einfachen Lösungen gibt, ist das bereits ein Riesenschritt. Die große Hoffnung ist es, dass das Publikum nach der Aufführung weiter über das Thema nachdenkt und in eine Debatte einsteigt. 

 

 

Wie wird das Unsichtbare sichtbar gemacht?

 


Dadurch, dass die Betroffenen im Zentrum des Theaterstückes stehen. Sie werden mit ihren individuellen Biographien hier zu hören und zu sehen sein. Das wird auch in intimen Momenten geschehen. Die Zuschauer teilen wir in kleine Gruppen auf, die sich jeweils mit der Geschichte eines Einzelnen auseinandersetzen.

 

 

Wie begegnet ihr der Gefahr, dass die Drogenabhängigen zum Objekt voyeuristischer Lust werden?

 


Jede Art der Zurschaustellung soll -vermieden werden. Ein Teil des Theaterstückes wird im Rautenstrauch-Joest-Museum stattfinden. Das ist der passende Ort, um das Thema Voyeurismus unmittelbar zu thematisierten und selbstkritisch zu reflektieren.

 

 

Was gilt es denn zu beachten bei der Arbeit mit Drogenabhängigen?

 


Wir erarbeiten mit ihnen das Stück so, dass sie eine Form finden, ihre Sicht der Dinge frei zu erzählen. Uns ist aber auch wichtig, nach Ende des Projektes nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. Wir wollen den Beteiligten die Möglichkeit eröffnen, sich auch weiter mit den Mitteln des Theaters mit ihrer Situation auseinanderzusetzen. Beim Sommerblut Kulturfestival im nächsten Jahr wollen wir in einer Art Reprise auf das Erreichte zurückblicken. Ich träume von einem »Junkie-Theater«, wo Drogenabhängige die Möglichkeit haben, Theater zu spielen. 

 

 

Welche Rolle wird der Zuschauer beim Rundgang spielen?

 


Es gibt Überlegungen, wie der Zuschauer im Neumarkt-Bereich aktiv in das Geschehen eingebunden werden kann. Auf jeden Fall ist gewünscht, dass zum Schluss alle Beteiligten und die Zuschauer vor Ort in eine offene Diskussion eintreten. Wenn es gelingt, das Gespräch und die Gesprächsbereitschaft zu fördern, wäre viel gewonnen. Dazu werden auch alle Beteiligten eingeladen, die nicht direkt im Stück mitspielen, wie etwa die Vertreter der Bürgerinitiative.

 

 

Was macht die aktuelle Meldung von einem Toten am Neumarkt mit den Beteiligten des Projektes?

 


Das hat am Karfreitag, als die Meldung kam, schon alle Beteiligten betroffen gemacht. Keiner aus der Gruppe kannte zwar den Verstorbenen, aber es hat uns allen noch einmal eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, sich aktiv mit dem Thema zu beschäftigen. 

 

 

StadtRevue präsentiert

»Drugland«, T+R: Stefan Herrmann, 9. (P)., 11–13.5., Treffpunkt Neumarkt 15–21, 19 Uhr