Schlaflieder für Schlaflose

 

Als »Garland« rollen Phillip Jondo und Simon Weins nicht nur den Underground-Techno auf

»Garland ist neutral. Das kann ein Name sein, ein Ort, es kann alles sein.« Bands, Projekte, Musiker und ihre Namen — ein eigenes Kapitel der Pop-Geschichte. Hier wird mit offenen und versteckten Bezügen gearbeitet oder eben nicht. Bei dem Duo Garland mutet es dennoch schon sympathisch an sowie zu gleichen Teilen naiv, dass der offensichtlichste aller Bezüge nicht genannt wird: Judy Garland. In Bonn und Bornheim, wo die beiden Musiker Phillip Jondo und Simon Weins herkommen, hat man sich wohl weniger mit dem großen Technicolor-Film-Star auseinandergesetzt. Der Klang des Wortes fasste, so Jondo, die Stimmung der eigenen Musik gut zusammen.

 


Eben jener Jondo hat sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht: in der Underground-Techno-Szene Europas, er hat eine Sendung beim Olymp der freien Internet-Radios, dem englischen NTS, und war Resident im Düsseldorfer Salon des Amateurs. Mittlerweile spielt er in Clubs und auf Festivals quer durch Europa. Gelegentlich wohl auch in Glasgow, wo Simon Weins als Künstler vor einigen Jahren siedelte und seinen Abschluss in »Skulptur« an der Kunsthochschule machte.

 


Die gemeinsame Arbeit am Projekt Garland basierte dennoch weniger auf gegenseitigen Besuchen. Jondo und Weins, die sich seit der Jugend kennen, vor allem schoben sie über das Internet Tracks, Sounds, Ideen und Spuren hin und her. Erst zur Arbeit am 2018 erschienenen Debüt »#1 — Preludes« änderte man das Vorgehen und nahm bei Sessions (vornehmlich in Jondos Kölner Wohnung und Studio) stundenlange Analog-Digital-Hybrid-Jams auf, die erst im Nachhinein bearbeitet wurden.

 


Nun, beim schlicht »#2« betiteltem Follow-Up, spielte man nicht nur gemeinsam, sondern realisierte auch Overdubs und das Gesamtarrangement. »Wir haben mittlerwei­le einiges an analogen Gerätschaften und Effekten, die wir zusammenbringen«, so Weins, »die Arbeit an den Tracks selbst wird nicht einfacher durch die Möglichkeiten des Internets. Man kann dem anderen nur bedingt erklären, was man sich an bestimmten Stellen gedacht hat.« Die Skepsis gegenüber den Möglich­keiten des nicht-lokal-gebundenen Musikmachens, die vor allen in den 00er Jahren abgefeiert wurden, ist aber keine Retromanie. Bei der Menge an Sounds und Inputs, die gehändelt werden wollen — oder »verwurschtet« wie beide im Interview häufiger sagen —, stieß man allein an seine Grenzen.

 


Es wäre wohl einfacher, wenn »#2« ein Album mit Dance-Musik und einfacher Dramaturgie wäre. Doch der Neuling zielt noch konkreter als der Vorgänger auf eine soundtrack- und mosaikhafte Ästhe­tik. So entstehen zusammengefrickelte Soundscapes und -skulp­turen, die von verfremdeten Samples, Clicks, schlurfenden Beats und ungreifbaren Vocal-Versatzstücken alles zu bieten haben, was das Avantgarde-Herz höher schlagen lässt. Der musikalische Referenz- und Vorbildraum ist entsprechend groß: Gerade in Köln mag man schnell an Mouse on Mars denken, oder auch an die Ambient-Stücke eines Wolfgang Voigt; im UK könnte die Nähe zu britischen Post-Dubstep-Produzenten wie Actress oder Zomby durchschlagen. Garland schaffen es wiederholt, sowohl die gespenstischen Post-Club-Minia­turen der letzten zehn Jahre, als auch den Experimental-Pop der 90er Jahre unter einen Hut zu bekommen. So gefiel beiden im Interview der Gedanke, dass »Garland« im Zweifel auch als Voigtscher Ambient-­Titel durchginge.

 


Für welche Hörerschaft ist »#2« denn gedacht? Aufschluss bietet der Name des Labels der aus­tra­li­schen Produzentin Izabel, auf dem Garland erscheinen. Lullabies For Insomniacs (LFI) — Schlaflieder für Schlaflose. Entstanden aus einer Radiosendung in Melbourne, die alle 14 Tage zwischen zwei und sechs Uhr morgens somnambule und hypnotische Musik darbot, versammelt die mittlerweile in Amsterdam beheimatete Izabel Caligiore eben jene neue Musik, die schon damals den übermüdeten Ton angab.

 


Eine der Nebenwirkungen der Schlaflosigkeit ist der Verlust der Fähigkeit, eine Zeitspanne richtig einschätzen zu können. Nicht sicher, ob die Tracks nun zwei oder zwanzig Minuten laufen, entsteht das Gefühl des permanenten Rein- und Rauszoomens in die Musik. Manchmal tief drin, im nächsten Moment als perfekter, zurückhaltender Hintergrundsound; so klingt auf LFI vieles und Garland im Speziellen. Diese zeitmanipulativen Untersuchungen laufen dennoch alle im Vier-Minuten-Format und verbergen ihre Herkunft aus dem Pop kaum. So schleichend und auf den sound­ästhetischen Effekt hin die neun Stücke auf »#2« klingen mögen, sind sie dennoch Songs und sogar Lieder, meist mit klarem Intro, ­häufig mit ebenso klaren Outros. Obgleich man Strophen und Refrains vergeblich suchen mag, sind die Leitmotivischen Sounds und Strukturen das passende Pendant und erfüllen die Aufgabe der überworfenen Songstrukturen.

 


Das passt natürlich alles vortrefflich zum Retro-Hype um sogenannte Intelligent Dance Music (IDM), der derzeit von Boards of Canada über Aphex Twin alles raus­kramt, was in den 90ern etwa auf Labels wie Warp veröffentlicht wurde. Als Gegenbewegung zum Mainstream-Trend EDM — Electronic Dance Music — erfreuen sich solche Experimente, ob alt oder neu, größter Beliebtheit. Dennoch sind Garland und »#2« nicht bloß Produkte eines Marktes, der offen ist für distin­gu­ier­te und avantgardistische Musik. Sie haben darüber hinaus — auf der psychologischen Ebene — etwas sehr Zeitloses.



Tonträger: #2 (lullabiesforinsomnia cslabel.bandcamp.com) ist bereits erschienen.