»Das Problem heißt Rassismus«: Kutlu Yurtseven; Foto: Manfred Wegener

Opfer werden Ankläger

Veranstalter Kutlu Yurtseven zieht ein Resümee zur antirassistischen Reihe

»Von Mauerfall bis Nagelbombe« an der Keupstraße

Herr Yurtseven, Ziel der Veranstaltungsreihe war, die Opfer und ihre Geschichten ins Bewusstsein zu bringen. War das erfolgreich?

 

Viele der Betroffenen haben immer noch Angst, ihre Geschichte zu erzählen. Wir wollten einen Raum schaffen, in dem sie die Möglichkeit haben aus der Opferrolle in die Rolle von Anklägern zu kommen. Gerade vor dem Hintergrund des demnächst beginnenden NSU-Prozesses. Schon bei der ersten Veranstaltung gab es einen besonders beeindruckenden Vortrag: Eine Bewohnerin der Keupstraße hat erzählt, wie ihr damaliger Mann nur eineinhalb Stunden nach dem Bombenanschlag von der Polizei vernommen und beschuldigt wurde. Das Reden bei der Veranstaltung hat ihr Mut gemacht, sodass sie schließlich einen Brief mit ihrer Geschichte an den NSU-Untersuchungsausschuss geschickt hat. Dort wurde er dann Otto Schily vorgelesen.

 

Woran liegt es, dass die Menschen ihre Geschichte nicht erzählen können?

 

Ein Händler von der Keupstraße hat erzählt, wie drei Tage nach dem Anschlag Polizisten in seinen Laden kamen und ihn bedrängten: ›Du weißt doch, wer das war.‹ Als er darauf antwortete: ›Das waren Nazis‹, haben die Polizisten ihm zu verstehen gegeben, dass sie das nicht wieder von ihm hören wollen. Danach hat er nicht mehr über den Anschlag geredet.

 

Die Veranstaltung sollte auch die Kontinuität zwischen den Pogromen Anfang der 90er in Hoyerswerda oder Rostock und dem späteren NSU-Terror aufzeigen.

 

Einerseits wollten wir aufzeigen, dass es bei den Anschlägen und Pogromen Rassismus auf unterschiedlichen Ebenen gab und gibt. Zum anderen wollten wir die Opfer zusammenbringen. Bei der letzten Veranstaltung war ?brahim Arslan zu Gast. Er hat 1992 als 7-Jähriger den Anschlag von Mölln überlebt und drei Familienangehörige verloren. Nun will er Opfer von rassistischer Gewalt zusammenbringen und sie ermutigen, ihre Geschichte zu erzählen. Denn die Erfahrungen sind nun mal ähnlich, auch bezüglich des institutionellen Rassismus. Arslan hat erzählt, dass auch in Mölln anfangs sein Vater beschuldigt wurde.

 

Im April wurde bekannt, dass sich unmittelbar nach der Explosion der Bombe zwei Zivilpolizisten an der Keupstraße befanden. Nun wird diskutiert, ob dies Teil eines gezielten Einsatzes war, weil die Polizei Hinweise hatte, dass etwas passieren könne. Halten Sie das für wahrscheinlich?

 

Natürlich stellen wir uns die Frage: Warum waren die Polizisten da? Und warum sogar ein Hauptkommissar? Nachdem, was wir bislang an Fehlverhalten der Polizei mitbekommen haben, wundert uns nichts mehr. Die Ermittlungsbehörden haben zunächst die Opfer verdächtigt, und haben sich auch später zu keinen Zeitpunkt für ihre Methoden entschuldigt. Stattdessen kamen auch zu unseren Veranstaltungen Polizisten — zunächst in Uniform, ab der zweiten Veranstaltung in Zivil — und schrieben fleißig mit. Das passt ins Schema. Vorne stehen Menschen, die erzählen, dass sie immer noch Angst vor der Polizei haben, und im Zuschauerraum sitzen Polizisten und beobachten.