Identitätssuche im 21. Jahrhundert: »Synonymes«

»Der Entfremdung eine Stimme geben«

Nadav Lapid über seinen Film »Synonymes« und ein Leben zwischen Israel und Frankreich

Der Protagonist Ihres Films »Synonymes«, Yoav, ist ein junger Israeli, der seine Heimat verlässt und nach Paris zieht, um sich dort neu zu erfinden. Wie würden Sie Yoav beschreiben?

Er ist innerlich zerrissen zwischen seinen israelischen Wurzeln, die er hinter sich lassen möchte, und seiner möglichen Zukunft als französischer Staatsbürger. Seine alte Identität ist Teil seines Körpers, er kann sie nicht einfach ablegen. Deshalb versucht er zu Beginn des Films, seinen Körper zu vernichten. Er erfriert fast in der Badewanne, der Israeli in ihm stirbt, und er wird als Franzose neu geboren.

Was macht für ihn den Reiz Frankreichs aus?

Ich glaube, auch da hat er einen inneren Zwiespalt. Er möchte sich um jeden Preis integrieren, französischer als die Franzosen werden. Zugleich will er kein gewöhnlicher Bürger, sondern ein Herrscher sein und wie alle Großen auf dem Friedhof Père-Lachaise begraben werden. Er paukt wie ein Besessener Vokabeln, lernt alle möglichen Synonyme, spricht dabei aber ein sehr eigentümliches Französisch. In einer Szene redet er sehr beleidigend über Israel, überzieht seine alte Heimat mit allen erdenklichen abwertenden Adjektiven, die er im Wörterbuch finden kann. Israel erweckt in ihm eine poetische Ader, diese auflistende Tirade ist ja weit mehr als eine Meinungsäußerung. Es sind Gedichte seiner Abscheu. So etwas verfasst man nur über Dinge, die einem nahe gehen. Zu Frankreich fehlt Yoav dieser poetische Zugang, er fühlt sich fremd.

Der Film beruht zum Teil auf Ihren eigenen Erfahrungen. Welches Verhältnis haben Sie selbst zu Frankreich?

Auch ich wollte aus Israel weg und in Paris leben. Ich hörte auf, Hebräisch zu sprechen, selbst mit meiner Familie am Telefon. Damals wusste ich nichts über Film, meine Liebe zum Kino habe ich erst in Frankreich entdeckt. Hier habe ich alles gelernt. Französisches Kino heißt für mich Analyse, Nachdenken, Auseinandersetzung. Das ist ein großes Geschenk, für das ich sehr dankbar bin. Yoav dagegen wird von Frankreich enttäuscht, weil seine Liebe nicht erwidert wird. Ihm macht die Schönheit von Paris Angst, deswegen läuft er immer mit gesenktem Blick durch die Stadt. Er wagt nicht, hinzuschauen und verhindert so, dass er sich auf das wahre Wesen der Stadt einlassen, sie sich aneignen kann. Ich bin selbst eine Zeitlang verloren durch diese Straßen gelaufen, mit denselben Gedanken und Gefühlen wie Yoav. Auch ich fragte mich, wie ich mein persönliches Paris finden sollte. Ich wollte kein Tourist sein, nicht diesen sentimentalen Blick auf die Stadt haben. Deswegen war es so wichtig für mich, das Kino zu entdecken und damit meine Geschichte aufarbeiten und transformieren zu können. Ich wollte mit dem Film zeigen, wie ich es damals erlebt habe.

Die Kamera ist meist unmittelbar dabei.

Ich wollte nicht, dass Bild und Ton auf Distanz sind und das Geschehen nur beobachten. Das ist nicht meine Art Kino. Ich finde es wichtig, dass die filmischen Mittel am Geschehen teilnehmen, in einen Dialog mit den Protagonisten treten, seine Emotionen ausdrücken. Die Kamera soll mitlaufen, mitkämpfen, mittanzen. Nur so komme ich an den wahren Kern eines Moments. Ich will überrascht werden. Wenn ich mich beim Drehen einer Szene selbst schon langweile, nicht getrieben bin, lasse ich sie lieber weg. Dann weiß ich, dass sie nicht funktioniert. Für mich ist ein Film nicht Autoren- oder Actionkino, sondern immer beides, Körper und Intellekt. Worte und Ideen sind nicht das Ziel, sondern Mittel, um das Leben abzubilden. Und ja, in »Synonyme« wird viel geredet, es geht um Sprache, aber nicht nur darum, was gesagt wird, sondern auch wie, um Sprache als Melodie. Es ist trotz allem ein Film voller Lebensfreude.

Im Februar haben Sie damit als erster israelischer Regisseur den Goldenen Bären auf der Berlinale gewonnen. Wie waren die Reaktionen in Israel?

Israel ist ein kleines Land und es dürstet nach Anerkennung, ob im Sport, beim Eurovision Song Contest oder anderswo. Die drei größten Fernsehsender unterbrachen alle ihr Programm, als sei gerade Krieg ausgebrochen. Als ich am Flughafen in Tel Aviv ankam, warteten 40 Kameras und 50 Journalisten auf mich. Es war schon ein bisschen absurd, weil ich plötzlich als Held gefeiert wurde. Aber mir ist natürlich bewusst, dass es eine große Bedeutung hat, wenn ein israelischer Film ausgerechnet in Berlin den Hauptpreis gewinnt. Im Fernsehen wurden dann provokante Szenen aus dem Film gezeigt und die Leute wussten plötzlich nicht mehr, ob wirklich Stolz angebracht war oder nicht doch eher Scham. Im Kino war er dann später bei Publikum und Kritik relativ erfolgreich, vor allem, wenn man bedenkt, dass es keine leichte Kost ist. Einige hassten den Film regelrecht, nicht so sehr aus politischen Gründen, sondern weil sie die Inszenierung als aggressiv empfanden. Aber viele Israelis spürten auch, dass ich ihre Geschichte erzähle und ihrer Entfremdung vom Land eine Stimme gebe.

Nadav Lapid

wurde 1975 in Tel Aviv geboren. Nach dem Militärdienst wanderte er nach Paris aus, studierte Philosophie und Literaturwissenschaft. 2006 schloss er sein Regiestudium in Jerusalem ab. Mit »Policeman« (2011) und »Ich habe ein Gedicht« (2014) war er auf internationalen Festivals erfolgreich. »Synonymes« gewann dieses Jahr als erster israelischer Film den Goldenen Bären in Berlin.