»Begraute«, 1999–2004, Öl- und Wachskreide auf Ansichtskarte

Wildes Denken auf Papier

»Gute Gründe« im Kunstmuseum Bonn: Eine Hommage an die Zeichnerin Nanne Meyer

Um es vorweg zu nehmen: Es gibt tatsächlich eine Vielzahl »Guter Gründe«, sich die mit eben diesem Titel versehene Ausstellung von Nanne Meyer anzuschauen. Natürlich hat die 1953 in Hamburg geborene, in Berlin lebende Zeichnerin den Titel nicht zuletzt wegen seiner Vieldeutigkeit gewählt, ist doch ihre künstlerische Praxis in dichter Tuchfühlung zu sprachlichen Redewendungen angesiedelt. Auch in den Arbeiten selbst können Wörter auftauchen, so etwa eine Reihe von Umstandswörtern in der Serie der Wortbild-Zeichnungen. Ihre Mehrdeutigkeit, ihren Symbolgehalt und ihren mitunter subtilen Witz spürt Meyer auf und findet überraschende und verblüffende Umsetzungen mittels Blei- oder Buntstiften. Genauso können aber auch vorgefundene Druckerzeugnisse wie Karteikarten einen Mal- und Zeichengrund abgeben, der mit Gouachen oder Tinte weiterbearbeitet wird.

Seit Ende der 70er Jahre befasst sich Nanne Meyer nahezu ausschließlich mit dem Medium der Zeichnung in all ihren Facetten. »Beim Zeichnen hat man es stets mit mindestens drei Realitäten zu tun: mit der da draußen in der Welt, mit der im Kopf und mit der auf dem Papier«, so die Künstlerin. Das Ausloten der unerschöpflichen Möglichkeiten in einem Medium, welches mitunter eher in die zweite Reihe verwiesen wird, brachte Meyer, die bis vor kurzem an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin lehrte, Anerkennung und namhafte Preise.

Nun also die mehr als verdiente Retrospektive in Bonn, mit thematisch gebündelten Einblicken in ein faszinierendes Oeuvre. Zu den Serien, die sich mit kartografischem Material befassen, gehören Schaubilder, bei denen aus den Linien des Geländes menschliche Gesichter erwachsen. Als mythische Bewohner dieser Landstriche scheinen sie den örtlichen Märchen und Sagen zu entstammen. Vorgefundenes Material wie Büropapier, Atlanten, Ansichtskarten oder Schnittmuster können den Ideen- und Zeichenprozess vorantreiben. Es gibt Serien, in denen Momente des Zufälligen und des Spielerischen zusammenkommen. Nanne Meyer folgt dabei der Logik der Linie, behält aber stets einen selbstreflexiven Blick auf das eigene Tun. In ihrer Beweglichkeit setzen die Zeichnungen anschauliches Denken frei. Meyers produktive Unruhe zeugt von einem gleichsam ›wilden Denken‹, bei dem die sinnlichen Qualitäten der Wahrnehmungs­gegen­stände den nächstliegenden Stoff für intellektuelle Spekulationen bieten.

Kunstmuseum Bonn
Friedrich-Ebert-Allee 2, Bonn,
bis 6.10., kunstmuseum-bonn.de