Mitorganisator des Urbäng-Festivals: Stefan Kraft

Raus aus den Echoräumen

Das Festival Urbäng stellt die Fragen nach gesellschaftlicher Partizipation — und dem Einfluss des Theaters

Unter dem Titel »Bürger, Citizen, Citoyen« nehmen die Mache­r*in­nen der Kölner Künstlergruppe Freihandelszone dieses Jahr die Gesellschaft unter die Lupe, fragen mit ihren internationalen Gästen nach Ästhetik, Toleranz und hinterfragen die Fähigkeit, Gemeinschaften zu bilden. Welche Rolle dem Theater dabei zukommt, erklärt Mitorganisator Stefan Kraft im Interview.

Der Titel des Festivals in diesem Jahr heißt: Bürger, Citizen, Citoyen, Stefan warum habt ihr euch dafür entschieden?

Weil es die große und spannende Aufgabe unserer Zeit ist, Freiheit und Verantwortung bewusst zu leben. Das macht die Bürger*innen weltweit aus — und da können wir uns als zeitgenössisches Festival nicht entziehen! Wir haben in diesem Jahr Produktionen eingeladen, die um die gesellschaftliche Vielfalt kreisen. Sie zeigen aber auch, wie groß die Herausforderungen an unsere Kommunikationsfähigkeit sind, die aus dieser Buntheit, diesem Chaos entstehen. Allerdings schotten sich viele Bereiche unserer Gesellschaft in Nischen oder eben Echokammern voneinander ab. Die Darstellende Kunst propagiert ebenfalls Offenheit und dreht sich trotzdem pudelwohl oft nur um sich selbst. Daraus wollen wir ausbrechen — Urbäng! ist unser Beitrag dazu.

Im Programm kündigt ihr an, ihr möchtet Gemeinschaften bilden. Wie stellt ihr das an?

Indem wir neben den eingeladenen Produktionen einen Rahmen für Gespräche und Begegnungen schaffen, die sich sonst nicht so ergeben würden. Wir brechen seit zwei Jahren die Standardsituation des Künstlergesprächs nach einer Vorstellung auf: Bei uns gibt es keine Podiumsdiskussion mit wichtigen Experten und am Schluss darf das Publikum auch noch drei Fragen stellen, sondern Publikum, KünstlerInnen und FestivalmacherInnen begegnen sich in dem Format »It’s your turn« auf Augenhöhe an kleinen Tischen mit Wein und Käse und kommen so in Austausch und vielleicht in eine temporäre Gemeinschaft. Das komplette Orangerie-Theater wird dahingehend umgestaltet!

Eurer Meinung nach sollen sich Künstler Gehör verschaffen. Welchen (Spiel)-Raum habt Ihr als Kuratoren und welche Möglich­keiten haben Künstler*innen in einer medialen Öffentlichkeit durch ihre künstlerischen Arbeiten Einfluss zu nehmen?

Nochmal: Ich sehe eine unserer wichtigsten Aufgaben darin, die Echoräume durchlässiger zu machen. Acht Prozent der Bevölkerung in Deutschland gehen regelmäßig ins Theater. Damit ist die Darstellende Kunst — bei all ihrem Potential — nur ein kleiner Player im gesellschaftlichen Wandel. Wir versuchen, diese acht Prozent zu erweitern und die Schwellen zu unserem Festival zu senken, ohne bei der künstle­rischen Qualität Abstriche zu machen.

Welche Themen spiegeln sich in den einzelnen Stücken? Gibt es einen roten Faden?

Die eingeladenen Produktionen thematisieren alle auf ihre Weise die Phänomene der gesellschaftlichen Vielfalt und der sozialen Exklusion und Inklusion. Wir zeigen mit »Invited« von Ultima Vez aus Belgien ein Stück, das performativ die Gesellschaft abbildet: Senioren und Kinder, Menschen mit und ohne Behinderung, Profis und Laien gehen gemeinsam durch einen Abend, in dessen Verlauf auch Publikum und Performer immer weiter zu einer Gemeinschaft verschmelzen. Und allein ihre Live-Band ist es schon wert, am Samstag in die Orangerie zu kommen.

Auf was dürfen wir uns noch freuen?

»Fall on Pluto« von Sashko Brama & Ensemble aus der Ukraine thematisiert das Leben alter Menschen am Rand der Gesellschaft: ein sensibles Puppenstück, das durch Recherchen in Senior*innenresidenzen entstanden ist. Die Wünsche und Geschichten einer verbannten Generation werden zu einem Plädoyer für eine emphatische Gesellschaft. Ein entrückter Abend, der einem sehr nahe kommt. In unserer Reihe »Female Gaze« präsentieren wir mit »Velvet« das neue kontrovers diskutierte Solo von Claire Vivianne Sobottke, einer Choreographin aus Berlin, das Konstrukt des Weiblichen und dessen Verkörperungen ergründet. Claire verwan­delt sich zur Musik von Tian Rotteveel von einer Frau zu einem Tier.

Eröffnet wird das Festival mit »Jeden Gest«, warum habt ihr euch dafür entschieden?

In diesem sehr witzigen, interessanten und berührenden Stück des Nowy Teatr aus Warschau geht es um Gebärdensprache, darüber hinaus auch um Kommunikation an sich: Ohne uns dessen immer bewusst zu sein, kommunizieren wir ständig auf vielen Ebenen — und nicht allein über die gesprochene Sprache. In dem Text, den die Macher*innen zu ihrem Theaterprojekt geschrieben haben, heißt es: »Wie kommt es, dass meine Freunde keine taubstummen Freunde haben?« Nun, vermutlich, weil wir uns nicht trauen, nur mit Händen und Füßen zu kommunizieren, was eigentlich das normalste auf der Welt sein könnte. Zum Auftakt am Mittwoch vor der Aufführung bieten wir deshalb einen Crashkurs in Gebärdensprache an.

Welchen Satz würdest du gerne von Besucher*innen hören, wenn das Festival vorbei ist?

»Phantastische Aufführungen. Ich bin offener raus gekommen, als ich rein gegangen bin.«

Stadtrevue präsentiert:

Urbäng! »Bürger, Citizen, Citoyen«
9.–12.10., Festivalzentrum: Orangerie – Theater im Volksgarten

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