Bornheimer Begegnungen

Jedes Jahr im Sommer treffen in der Nähe von Köln junge Israelis und Palästinenser aufeinander. Zwei Wochen lang sprechen sie über ihr Leben im Nahostkonflikt. Zu dem Dialogseminar müssen manche heimlich anreisen — aus Angst vor Repressalien. Was kann diese Begegnung bewirken?

Der Nahostkonflikt scheint von Walberberg maximal weit entfernt zu sein. Das Dörfchen, das zu Bornheim gehört und im Vorgebirge zwischen Köln und Bonn liegt, besteht aus Klinkerhäuschen, Neubauten und einer Menge Pferdekoppeln. Oberhalb des Dorfes, an einem Wiesenhang, liegt die Jugendakademie, ein Betonbau aus den 60er Jahren. Hier trafen sich vor siebzehn Jahren zum ersten Mal rund fünfzig junge Leute aus Israel und Palästina. Zwei Wochen lang wohnten und aßen sie zusammen, und vor allem redeten sie miteinander. Viele fuhren völlig verändert nach Hause.

Die Begegnung in Walberberg hatte einen solchen Effekt, dass die Treffen seither jeden Sommer statt­finden. Mehr als 2500 Menschen haben inzwischen die Seminare unter dem Namen »Ferien vom Krieg — Dialoge über Grenzen hinweg« besucht. Organisiert werden sie vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, einem spendenfinanzierten Verein mit Sitz im Agnesviertel. Der Name geht auf ein Hilfsprogramm zurück, das mit dem Nahostkonflikt gar nichts zu tun hatte. Mitarbeiter des Vereins holten im Jugo­slawien­krieg Flüchtlings- und Waisenkinder aus den Kriegs­gebieten in Bosnien und Kroatien, damit sie sich zwei Wochen lang am Mittelmeer erholen konnten. Auch hierbei ging es aber um Begegnung, um den Kontakt mit »der anderen Seite«. Deshalb gibt es das Programm für Jugendliche in Ex-Jugoslawien bis heute, und seit 2002 finden die Dialog­seminare für Israelis und Palästinenser in Deutschland statt.

»Hier in Deutschland habe ich überhaupt zum ersten Mal mit Israelis gesprochen«, sagt Ahed*. Die Architektur­studentin aus Hebron hat gerade Mittagspause, hinter ihr liegen zehn Tage voller Gespräche und Diskussionen. Die Sonne brennt zu stark, um sich auf die Wiese zu setzen, weshalb Ahed sich mit drei weiteren Teilnehmern in einen kleinen, dunklen Besprechungsraum der Jugendakademie zurückzieht. Neben Ahed sitzen Anna*, eine Kunsttherapeutin, und Vera*, eine Sozialarbeiterin, die beide in Haifa leben. Außerdem ist Mounir* aus Bethlehem dabei, ein blasser, schmaler, jungenhafter Mann, der versucht, sich als selbständiger Designer im Westjordanland über Wasser zu halten.

Die Architekturstudentin Ahed erzählt, sie habe nicht gewusst, dass alle Israelis Wehrdienst in der Armee leisten müssen, Männer drei Jahre lang, Frauen 21 Monate. »Ich wusste auch nicht, dass viele Israelis sich wünschen, mit uns zusammen in Frieden zu leben.« Die anderen lächeln und nicken Ahed aufmunternd zu. »Ich habe ja nur die Soldaten am Checkpoint gesehen und dachte, die mögen uns nicht, die verstehen uns auch nicht, die halten uns nur fest und wollen am liebsten alle ins Gefängnis bringen.«

Immer wieder geht es im Gespräch um die Checkpoints. Mounir hat einige Jahre in Jerusalem gearbeitet, das direkt an seinen Wohnort Bethlehem angrenzt. Er konnte zu Fuß zur Arbeit gehen, brauchte aber trotzdem im Schnitt drei Stunden für den Weg, weil er durch den Checkpoint musste. Von seinem Haus sieht er direkt auf die Sperrmauer, die Israel zur Terrorabwehr errichten ließ. Inzwischen hat Mounir sich selbständig gemacht, um sich den Arbeitsweg zu ersparen. Obwohl er hier in Walberberg einen straffen Stundenplan hat, findet er den Namen »Ferien vom Krieg« passend. »Hier kann ich mit meinen Freunden aus Israel reden. Und ich kann mich bewegen, ohne dass mich ständig jemand fragt, wo ich hinwill, ohne die ständigen Demütigungen.«

Anna und Vera leben in Haifa, weit weg von den Palästinenser­gebieten. »Man kann sich hier in einer Blase einrichten und den Konflikt weitgehend ausblenden. Aber mir gelingt das nicht. Ich kann mich damit nicht abfinden«, sagt Anna, die Kunsttherapeutin. Sie engagiert sich schon seit längerem
für den israelisch-palästinensischen Dialog, hat an Friedenscamps in der Wüste der Westbank teilgenommen. Die Sozialarbeiterin Vera ist mit 15 Jahren aus Russland nach Israel eingewandert. Sie hat nicht das Gefühl, in einer Blase zu leben. »Es gab so oft Zeiten, in denen ich mich aus Angst vor Selbstmordanschlägen nicht getraut habe, in einen Bus einzusteigen. Die Bedrohung ist immer präsent.«

Ahed, Mounir, Anna und Vera wirken vertraut miteinander. Sie alle sind jung, haben studiert und versuchen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Doch so entspannt sie hier in Deutschland miteinander umgehen, so offen, wie sie ihre Gefühle einander zeigen, so heikel wird die Lage, wenn sie wieder zu Hause sind. Aheds Familie weiß zwar, was sie hier in Deutschland tut. Aber sie passt genau auf, wem sie im Bekanntenkreis davon erzählt. Eine andere Teilnehmerin wurde im Vorfeld der Reise von einem Kollegen bedroht und als Verräterin beschimpft. Sie fuhr trotzdem. Andere meldeten sich kurz vor Beginn der Reise wieder ab, weil die Eltern es verboten hatten. Ein einziges Mal war eine Teilnehmerin aus dem Gaza-Streifen in Walberberg. Sie hatte aus beruflichen Gründen eine Reise­erlaubnis. Einmal in Deutschland angekommen, besuchte sie zunächst ihren hier lebenden Cousin, um ein Foto mit ihm zu machen. So konnte sie der Hamas ihre Reise als Familien­besuch verkaufen.

»Die Stimmung hat sich im Laufe der Jahre deutlich verschärft«, sagt Schulamith Weil, Mitglied im Koordinationskreis des Projekts. Inzwischen behielten auch viele Israelis den Grund ihrer Reise lieber für sich, um sich zu Hause keinen Ärger einzuhandeln. Umso wichtiger findet Weil, dass es Programme wie »Ferien vom Krieg« gibt. »Hier können sie eine Ebene der Verständigung finden. Das ist so nur im Ausland möglich.« Schulamith Weil sagt, dass es natürlich klar sei, dass man in Walberberg keine Lösung für den Nahostkonflikt finde. »Uns kommt es darauf an, dass die Teilnehmer merken: Es gibt nicht die eine Wahrheit der Geschichte, es gibt nur verschiedene Narrative.«

»Ich weiß das alles, für mich ist das nichts Neues«, sagt Vera aus Haifa. Sie hat oft mit jungen Palästinensern gearbeitet. Trotzdem haben sie die vergangenen zehn Tage aufgewühlt. Ein Teilnehmer schilderte, wie sein Freund vor seinen Augen verblutete. Andere verloren Angehörige bei Selbstmordanschlägen. »All das Leid und die Demütigungen. Und wir alle wissen nicht, wie wir das ­stoppen können. Es ist deprimierend, nicht zu wissen, was wir tun sollen.« Mounir aus Bethlehem wirkt optimistischer, er will sich zu Hause unbedingt in der Friedensbewegung engagieren.

Auch nach dem Seminar hält der Verein den Kontakt zu den jungen Leuten. »Manche werden politisch aktiv oder verweigern den Kriegs- oder Reservedienst«, sagt Schulamith Weil. Manche geben ihre Erfahrung anders weiter. »Eine ehemalige Teilnehmerin erzählte mir, an den Checkpoints habe sie früher nur Angst gehabt. Seit dem Seminar schaut sie den Soldaten dort in die Augen und spricht mit ihnen.« Andere Ehemalige fahren regelmäßig von Israel nach Hebron und nehmen dort an Aktionen gewaltfreien Widerstands teil.

Ahed erzählt, dass sie neben ihrem Studium Romane schreibe, Science Fiction. Sie vertreibt sie online, ihr letztes Werk hatte mehrere Tausend Leser. Eigentlich mangelt es Ahed also nicht an Vorstellungskraft. Aber sie konnte es kaum glauben, was an einem Abend in Walberberg passierte. Alle hatten zusammen gekocht, gegessen und Musik gehört. »Was an diesem Abend geschah, hätte ich niemals für möglich gehalten. Ich dachte: Warum können wir das nicht immer haben? Es war wunderschön, und gleichzeitig sehr, sehr traurig.«

* alle Namen der Seminarteilnehmer von der Redaktion geändert