Ankunft von Gastarbeitern unerwünscht? »Der Unfall« von Peter Beauvais

Harte Arbeit Ankommen

Köln im Film zeigt die Geschichte und Geschichten der Migration in Köln

Köln verfügte neben München über den größten Verteilerbahnhof für Arbeitsmigranten aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei und Marokko. Eine wertvolle Rückschau auf die Geschichte der Migration in Köln präsentiert nun in Kooperation mit dem Dokumentationszentrum Domid die Initiative »Köln im Film«. So dokumentieren unter anderem viele WDR-Produktionen wichtige Stationen wie Anwerbeabkommen, Anwerbestopp und Familiennachzug — im Sprachduktus und Stil der jeweiligen Jahren. Eine faszinierende ­Zeitreise.

»Der Mensch lebt nicht vom Lohn allein« (1961) von Dieter Ert zeigt die Zugewanderten am Band und im Wohnheim; Bürgerinnen und Bürger kommentieren mal besorgt, mal wohlwollend. Wenn Arbeitgeber den »Leistungs- und Durchhaltewillen« loben, sich aber über den Gesang der Italiener und Spanier wundern, lässt sich die bleierne Atmosphäre Nachkriegsdeutschlands erahnen. Da fordert Kabinettsmitglied Hans Filbinger — später kompromittiert wegen mehrerer als NS-Richter verhängter Todesurteile — eine »Unterbringungspflicht der Industrie«, die wiederum den Staat in der Pflicht sieht. Im Wohnungsmangel erkennt der Sprecher den »Nährboden eines psychologischen Prekariats«. Noch deutlicher im Jargon ist »Die industrielle Reservearmee« von 1971: Helma Sander Brahms stellt Szenen bei Ämtern, Ausländerbehörde, Werkschutz durch verknappte, fast elliptische Montage, suggestiven Kommentar und Marx-Zitate in einen klassenkämpferischen Kontext. Doch zur Überwindung der »Spaltung der Arbeiterklasse in Deutsche und Ausländische« fehlen »Agitations- und Aktionsstrategien«: laut Ausländergesetz kann politische Betätigung zur Ausweisung führen. Kontakt zur Arbeiterbewegung in der Türkei und eine Internationalisierung der Revolution gibt es nicht.

Wie weit die Solidarität reichte, zeigt der legendäre »wilde« Fordstreik, den Thomas Giefer und Karl Baumgartner 1982 in »Diese spontane Arbeitsniederlegung war nicht geplant« aufrollen: Im Spätsommer 1973 legten im Kölner Werk zwei Drittel der 12.000 beschäftigten Türken die Arbeit nieder. Hinter der Forderung »Eine Mark mehr« stand auch die Klage über unzumutbare Arbeitsbedingungen und drohende Massenentlassungen. Neun Jahre später blicken ehemalige Streikende zurück. Die meisten Deutschen wollten bei der »Türkensache« nicht mitmachen, denn »sie hatten die Mark mehr schon«. Gebilligt vom Betriebsrat wurde der Streik schließlich niedergeknüppelt. Es folgte die Kündigung von 700 Streikenden, Aufenthaltsgenehmigungen wurden überprüft, 1973 kam der Anwerbestopp hinzu. In der Türkei gab es keine Arbeit für die fremd gewordenen »Almancis«, die nachgezogenen Familien mussten dennoch ernährt werden.

»Kulis, Kinder und Kollegen — Schnappschüsse« (1973) von Anne Dorn und Karl Wiehn zeigt die »zweite Generation«. Die Träume der Kölsch sprechenden Migrantenkinder sind bescheiden: eine Ausbildung als Elektriker, Kfz-Schlosser oder Friseur, aber ohne Hauptschulabschluss reicht es nur zum »Aspirantenvertrag«. Wie Gleichgültigkeit, fehlende Förderung und an »Sprachschwierigkeiten« aufgehängte Ausgrenzung erfolgreiche Biografien verhindert, wirkt bis in die Gegenwart nach. Kommentar: »Hinter dem Lachen die Hilflosigkeit, hinter der Hilflosigkeit das Ghetto«. Dieses »Ghetto«, das die Protagonisten durchschlendern, ein noch nicht gentrifiziertes Arbeiterveedel, ist die heutige Hipster-Meile zwischen Leyendeckerstraße, Venloer Straße und Gürtel.

2011 ist die Situation anders: »Unserer Väter Land« von Achim Scheunert und Zuhal Er gibt Töchtern ehemaliger Ford-Arbeiter Raum. Sie verorten sich klar in Köln — trotz Kopftuch. In den Filmen der 70er Jahre kaum präsent, mag das strittige Stück Stoff auch von einer zunehmend konservativen Strömung zeugen — vor allem markiert es jetzt deutlich jene Differenz, die viele allzu lange vergeblich überwinden wollten. Der Film belegt auch einen Perspektivwechsel, den das »deutschtürkische Kino« (in Köln vertreten durch Ayhan Salars »Frizör« von 2003) vorangetrieben hat. Spiegeln die frühen Beiträge noch den bisweilen empathischen, meist aber interpretierenden »deutschen« Blick auf die Migrantinnen und Migranten, so geben Erzählstimme und Kamerablick später die Binnensicht wieder.

Bisweilen aber fängt ein unabhängiger Geist Universelles ein: In »Der Unfall«, neben »Oray« der einzige Spielfilm der Reihe, wird ein Spanier, der in die Baugrube gestürzt ist, zum Ausgangspunkt mehrfacher Ermittlungen im Milieu. Der angereiste Bruder, auf der Suche nach Arbeit und einem Bett, gerät an Vorarbeiter und Vermieter, unter deren rauer Schale ein weicher Kern oder aber ein Rassist stecken mag. »Der Unfall« ist ein Glücksfall für Cineasten, Köln-Fans und Migrationsforscher: KHD-Werkshallen, kölsche Typen, ­Szenen in Original-Sprachen sowie Eckkneipen, in deren Versammlungsräumen Reden zum »deutschen Volkskörper« geschwungen werden – während der Wirt vorne an den Fremden verdient. Jost Vacanos schwerelos gleitende Kamera fand später bei Roland Klick, Wolfgang Petersen und Michael Verhoeven ein internationales Publikum. In kleineren Rollen sind ein milchbärtiger Marius Müller-Westernhagen und Jürgen Flimm, später Intendant am Kölner Schauspiel, zu sehen. Außergewöhnlich ist auch die Lebensgeschichte des Regisseurs: vor den Nazis geflüchtet, arbeitete Peter Beauvais in Hollywood für Elia Kazan, als Dolmetscher bei den Nürnberger Prozessen, und schließlich überaus produktiv im deutschen Fernsehen. Die Biografie eines mehrfachen erfolgreichen Ankommens, das man auch anderen wünscht.

Weitere Infos: koeln-im-film.de