Geschichten ohne Texte: Afrodeutsche

»Es war Hardcore«

Henrietta Smith-Rolla aka Afrodeutsche über die Sprache Techno

»Wenn es mir danach ist, dann tanze ich durch meine Wohnung. Damit bringe ich meine Nachbarn zur Weißglut, aber das ist mir egal, ich folge meinen Gefühlen.« Man muss Henrietta Smith-Rolla nicht groß in die Mangel nehmen, um ihr private Statements zu entlocken. Die in Devon in Westengland geborene und in Manchester lebende DJ und Produzentin, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Afrodeutsche, begegnet einem mit befreiender Offenheit.

Wir befinden uns in einer Hotel­­lobby nahe dem Gelände des Sonar Festivals in Barcelona. Es ist Juni, draußen ist es sehr heiß. Smith-Rolla hat eben ihren Soundcheck absolviert, in ein paar Stunden wird sie einen der wichtigsten Auftritte ihrer bisherigen Karriere spielen. Mal wieder. Zuletzt häufen sich diese speziellen Ereignisse im Leben der Enddreißigerin. »Es ist, als ob ich in der Lotterie gewonnen hätte und plötzlich die Schulden aller meiner Freunde abbezahlen, meiner Mutter ein Haus kaufen und mir einen Urlaub gönnen könnte«, gibt sie Einblicke in ihre Gefühlswelt an­gesichts des gerade absolvierten ersten Auftritts in der Berliner Technoinstitution Berghain.

Hinter dem scheinbar leicht­füßigen Erfolg stecken lange Jahre des Kampfes. Als Henrietta Smith-Rolla in den 80er Jahren mit ihrer Mutter in Devon aufwuchs, musste sie sich einen starken Abwehrpanzer zulegen. »Wir waren die erste schwarze Familie in der Stadt«, erinnert sie sich. »Devon war wunderschön, aber ich begriff schnell, dass wir für die anderen Leute ein Spektakel waren. Es war Hardcore.« Für die junge Smith-Rolla bedeute­te dies, die allgegenwärtigen Blicke zu dechiffrieren lernen: »Mal war es Neugierde, manchmal aber auch direkter Rassimus. So wurde ich paranoid.«

Zur zumindest partiellen Rettung der Stadt muss man allerdings sagen, dass Smith-Rolla dort ihre musikalische Erweckung erlebt hat, als sie in einem der Häuser, wo ihre Mutter putze und sie diese nach der Schule besuchte, auf dem Klavier spielen konnte. Angeregt durch die Kompositionen von Erik Satie und Claude Debussy begann sie, eigene Stücke zu schreiben, fasziniert davon, dass »Musik auch ohne Texte eine Geschichte erzählen kann«.

Erst der Umzug in das multikulturelle Manchester sollte für Erleichterung im Leben von Hen­rietta Smith-Rolla sorgen. »In ­Manchester fühle ich mich nicht schwarz«, berichtet sie und macht sofort deutlich, wie besonders das sei. »Außerhalb Manchesters spüre ich immer, dass ich eine schwarze Frau bin, vor allem wenn ich al­lei­ne reise«, was für die vielgebuchte DJ und Produzentin sehr oft vorkommt. Flughäfen sind deswegen ein Albtraumsort. »Ich hasse Flughäfen!«, schießt es ausnahmsweise laut und voller Abneigung aus ihr heraus. Smith-Rolla erzählt eine Anekdote von zwei Parisianer Grenzbeamten, die sich immer wieder ihren Pass hin und her gereicht und sie ausgelacht hätten. Warum? Einfach weil sie, die Uniformträger, es konnten!

Es ist an der Zeit über den Künstlernamen von Henrietta Smith-Rolla zu sprechen. Was für Unwissende schnell mal wie einer dieser Wortwitze wirkt, wie er hinter vielen Pseudonymen in der elektronischen Musikszene steckt, hat bei ihr eine konkrete Unterfütterung: auf das Wort Afrodeutsche ist sie während der Suche nach ihrem Vater gestoßen, der aus Ghana stammt und lange in Deutschland gelebt hat. »Es fühlt sich an, als ob es immer da war, aber eben all die Jahre dauerte, es zu finden und die Verbindung zu erkennen«, erzählt Smith-Rolla. Sie habe sich dann bei deutschen Freunden nach der tieferen Bedeutung erkundigt und abgewogen, ob sie das Wort benutzen könnte. Dass sie sich letztlich dafür entschied, damit hat das Detroiter Techno-Kollektiv Underground Resistance und ihr epochaler Track »Afrogermanic«, einer Reverenz an Kraftwerk, viel zu tun. »Als ich das Stück das erste Mal gehört habe, verstand ich noch nicht, worum es geht. Doch ich empfand sofort ein Gefühl der ­Verbundenheit.«

Hört man »Break Before Make«, Henrietta Smith-Rollas 2018 auf Skam Records erschienenes Debütalbum und die aktuelle 4-Track EP »Rr 001« (River Rapid), auf der die ironisch betitelte Selbstermäch­tigungshymne »I Know Not What I Do« zu hören ist, so muss man neben Underground Resistance auch an Drexciya, Dopplereffekt und Aux 88 denken, die Crème de la Crème Detroiter Electro-Produzenten. »Das ist meine Sprache«, kommentiert sie euphorisch. »Ich kann diese Sprache namens Techno sprechen — und viele andere auch. Egal, wo ich mich auf der Welt gerade befinde, wenn jemand ­Drexciya erwähnt, dann kenne ich die Person.«

Musikproduzieren ist für Henrietta Smith-Rolla ein sehr persön­licher Prozess. »Normalerweise muss ich etwas verarbeiten, wenn ich mich an ein Stück setze«, gewährt sie Einblick in ihren Krea­tionsprozess. »Ich spüre in diesem Moment, dass da besondere Gefühle in mir sind, Musik ist mein Weg diese zu verstehen und mit ihnen umzugehen.« Beim Schreiben hört sie sich aktuelle Trackskizzen immer wieder an, »um herauszubekommen, was diesen noch fehlt«. Hierfür spaziert sie unter Kopfhörern versteckt und so in den »eigenen Raum versetzt« durch Manchester. »Manchmal kommt es dabei zu Dopplereffekten«, führt sie aus. »Geräusche von Außen schmuggeln sich in die Musik, beispielsweise ein vorbeifahrender Bus —und plötzlich weiß ich, was ich noch einbauen muss.«

Zum Schluss möchte ich von Henrietta noch wissen, ob sie denn eine Verbindung zwischen ihrer Musik und der Tatsache sieht, dass sie eine Frau ist. Immerhin hat sie ihre monatliche Radioshow auf dem Londoner Radiosender NTS »Black Forest« betitelt, eine Anspielung auf »meine Vagina«, wie sie laut lachend erklärt — »Das ist meine Art von Humor!« Meine Frage verneint sie aber dennoch: »Meine Musik ist weder männ­lich noch weiblich. Ich kam noch nie auf den Gedanken, über das auch nur nachzudenken. Wenn ich Musik produziere, spielt mein Geschlecht keine Rolle.«

Live: Fr 8.11., Cologne Sessions feat. Afrodeutsche, Jaki, 23.30 Uhr