Schonungslos offen: Eva Collé

Searching Eva

KHM-Absolventin Pia Hellenthal hat einen Film über eine öffentliche Frau gedreht

»Wie verpasse ich meinem Hirn einen Neustart?«, fragt sich Eva Collé, die eigentlich nicht so heißt, an einem noch recht frühen Zeitpunkt dieses dokumentarischen Porträts, das die Grenze zur Inszenierung gelegentlich verwischt. Es ist eine Frage, die auch einen selbst nach dem Sehen von »Searching Eva« umtreibt. Neben einer anderen, nicht minder dringlichen: »Wer zum Teufel bist du, Mädchen?« Gestellt hat sie einer von Collés anonymen Followern aus dem Internet. Viele von solchen Kommentaren hat Regisseurin Pia Hellenthal, Absolventin der Kölner Kunsthochschule für Medien, für ihren Film »höflich gestohlen« — wie sie es im Abspann formuliert. Regisseurin und Follower haben eines gemein: Sie stolperten eines Tages über den geheimnisvollen Tumblr-Blog der jungen Frau und waren unversehens gefesselt von dem, was sich ihnen hier in Wort und Bild darbot — intimste Aufnahmen und Gedanken, Gedichte, Schnipsel eines Lebens, ungefiltert aufbereitet für eine unbekannte Leserschaft. »Dein Leben ist irgendwie cool und interessant, irgendwie wie ein Indie-Movie«, schreibt einer ihrer Follower.

Ein Indiefilm, der offenbar irgendwo zwischen Neukölln und Italien abrollt, woher Eva kommt, und einigen anderen europäischen Städten, wo es manchmal Model-Jobs für sie gibt. Sie sind nicht ihre einzige Einnahmequelle. Eva ist außerdem Sexarbeiterin, und das wiederum ist eine Tätigkeit, die nicht selten für überraschende Begegnungen sorgt. Von denen fängt der Film zumindest zwei denkwürdige ein. Eine findet in einem Berliner Hotelzimmer statt und geht mit einem Sprachkurs der besonderen Art einher: »I will, dass du mi stoßt«, soll Eva da immer wieder zu ihrem unüberhörbar österreichischen Freier sagen. Die andere hat mit einem eher vermasselten WG-Casting zu tun.

Pia Hellenthals stark sympathisierende Studie vollführt einen ähnlichen Balanceakt, den auch Eva in ihrem Leben probiert. Alles sieht hier nämlich sehr lässig aus: das Schaukeln auf Drogen in der Hängematte einer Hochhauswohnung und sogar ein doch eher pikantes Fotoshooting mit der eigenen Mutter. Aber so einfach ist es nicht. Im Grunde handelt es sich bei »Searching Eva« um die Dokumentation eines Arbeitsprozesses, der seinen Anfang mit der eingangs gestellten Frage nimmt und von da aus weitergeht zu Fragen wie: Wie kann ich überleben, ohne in regulären Arbeitsverhältnissen zu zerfließen? Wie kann ich mich von all den Bibelversen lösen, die meine katholische Erziehung in mein Hirn gepflanzt hat? Dieser Prozess verläuft radikal, bisweilen besorgniserregend. Dass man dabei dank Hellenthal zusehen kann, ist dennoch ein Geschenk.

(dto) D 2019, R: Pia Hellenthal, 85 Min.