Wohnungspolitik lohnt sich!

In Köln sollen Wohnungen über Supermärkten entstehen. Die Stadt muss mit den Discountern pokern

»Frisches Rinderhackfleisch XXL-Packung«; 4,99 Euro/kg — bisher verdient Lidl sein Geld vor allem mit günstigen Lebensmitteln. Doch jetzt baut der Discounter sein Sortiment aus, was man durchaus wörtlich verstehen darf: Lidl macht in Wohnungen.

Sein »Mixed-Use-Konzept« will Lidl erstmals in Nippes umsetzen: An der Neusser Straße, unweit vom Nippeser Tälchen, will man nicht nur eine neue Filiale errichten, sondern darauf auch noch 28 Wohnungen bauen. Das Projekt soll einen zweistelligen Millionenbetrag ­kosten.

Als Lidl Ende Oktober seine Pläne in Nippes vorstellte, war auch die SPD zur Stelle. Wann immer in Köln derzeit öffentlichkeitswirksam über Wohnen diskutiert wird, riechen die Sozialdemokraten Lunte. Zuletzt schimpften sie auf die Zweckentfremdung von Wohnraum durch Airbnb-Vermietungen und wollten das ehemalige Justizzentrum an der Luxemburger Straße zu einer gigantischen Studenten-WG umbauen. Die SPD braucht bis zur Kommunalwahl im Herbst 2020 ein Thema, bei dem Wähler der Partei vertrauen. Den Grünen ist das Trendthema Klimaschutz in die Hände gefallen, die SPD will mit Wohnen nachziehen.

Für Michael Frenzel, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Ratsfraktion, ist das Überbauen von Supermärkten »eine so einfache wie kreative Idee«. Man kann darüber streiten, wie originell die Idee wirklich ist, Wohnungen über Ladenlokalen zu bauen. Aber für Discounter steckt dahinter ein gutes Geschäftsmodell. Sie machen Mieter zu Kunden. Aldi Nord hat angekündigt, in Berlin 2000 Wohnungen zu bauen. Auch Lidl hat
das Wohnen-Einkaufen-Doppelpack bereits in einigen Städten
im Angebot.

Eigentlich macht es das Baurecht Discountern schwer, neue Filialen zu errichten. Städte wollen bestehende Einkaufsstraßen schützen und Flächen sinnvoll nutzen. Die SPD beantragte in der Ratssitzung Anfang November, Discountern Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, um schneller neue Märkte zu bauen und bestehende zu vergrößern. Im Gegenzug müssen sie diese Filialen mit Wohnungen aufstocken. Discounter halten im Poker mit Kommunen einen Trumpf in der Hand: Sie besitzen große Flächen in zentraler Lage. Eine über Jahrzehnte laxe Stadtentwicklungspolitik machte möglich, dass dort meist nur ein Flachbau mit vielen Parkplätzen entstand. Heute wollen Städte »nachverdichten«, kommen aber nicht an die kostbaren Areale der Discounter heran. Der Deal lautet: neue Supermärkte gegen neue Wohnungen.

Die Technische Universität Darmstadt und das Forschungsinstitut Pestel haben bundesweit ein Potenzial von circa 400.000 Wohnungen über Discountern ermitteln. In Köln hat die Verwaltung 48 Filialen mit »Mixed Use«-Potenzial ausgemacht, Platz für rund 1000 neue Wohnungen. Wenn die Stadtspitze in wenigen Tagen verkünden muss, dass in Köln auch in diesem Jahr Tausende Wohnungen weniger gebaut wurden als geplant, wird man sich im Rathaus die Angebotswochen der Discounter wohl noch mal genauer anschauen.