Das  letzte  Fest – Weihnachten  im  Klima­notstand – Teil 2

Fleisch und Baum dürfen sein!

Das Heil der Welt darf nicht in der Verantwortung des Einzelnen liegen, sagt der SPD-Politiker Jochen Ott

Gottes Sohn wurde im Stall geboren, gebettet in einer Krippe aus Holz und Stroh, nah bei den Tieren. Ist das Christentum also eine frohe Botschaft von Verzicht und Bescheidenheit? Das kann man so sehen — es ist aber nur die halbe Geschichte. Die andere Hälfte handelt vom »Wir«. Denn die Geburt im Stall ist eine radikale Botschaft: Jesus ist geboren für die Vielen und nicht die Wenigen, die in den Palästen wohnen.

Weihnachten ist ein Fest der Solidarität. Daran sollten diejenigen denken, die heute glauben, das Heil der Welt liege in der Verantwortung des Einzelnen. Natürlich performt in unserer indivi­dualisierten Welt jede, wie sie mag, und definiert darüber die eigene Persönlichkeit. Auch über den persönlichen Beitrag gegen den Klimawandel. Sicher gilt diesbezüglich: Weniger ist mehr. Klar ist auch, dass viele kleine Schritte das Gesicht der Welt verändern können. Aber eine Lösung fürs große Ganze ist das noch nicht.

Auch die Sklaverei gäbe es wahrscheinlich heute noch, wenn man an die Einsicht des einzelnen Baumwollfarmers appelliert hätte. Ebenso wenig werden heute Oma Erna und Onkel Fritz den Regenwald retten. So etwas funktioniert nur in der neoliberalen Erzählung: Der Markt soll es richten, in diesem Fall die Nachfrage­seite, die Konsumentin. Aber so klug ist der Markt leider nicht. Die Verantwortung, die wir als Gesellschaft schultern müssten, wird auf den Einzelnen abgeschoben. Der Druck zum Verzicht wird in gleichem Ausmaß an diejenige weitergegeben, die zum Weihnachtseinkauf nach London jettet, wie auch an den Paketzusteller, der seiner Familie den Strandurlaub ermöglich will. Beide verfügen jedoch über ungleiche Mittel, damit umzugehen.

Es geht deshalb nicht darum, ob wir Weihnachten ohne Baum, ohne Fleisch oder ohne Lichterkette feiern. Denn das würde heißen: Nach der sozialen lassen wir uns jetzt auch noch die ökologische Verantwortung auf die eigenen Schultern laden. Aber im Gegensatz zu Margaret Thatcher rufe ich: There is Society! Selbst in Kriegen, in größten Entbehrungen haben Menschen Weihnachten gefeiert. Das Fest der Liebe erinnert uns an das »Wir« einer Gemeinschaft, deren Ziele und Vorstellungen wir natürlich erstreiten müssen. Denn: Über die Zukunft wird politisch in Parlamenten entschieden, nicht persönlich unter dem Weihnachtsbaum. Wir müssen mehr Politik wagen, denn die Weihnachtsbotschaft lautetet: Nehmt das Wir des Stalls und weniger das Ich in den Palästen in den Blick.

Jochen Ott aus Köln ist Vize-Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag NRW

 

 

Mit Pappkugeln und Beilagen

Anne-Katrin Reifferscheid von Parents for Future über ihre Weihnachtspläne

In unserer Parents-for-Future-Gruppe ist Weihnachten seit Wochen Thema. Zum Beispiel das Essen: Viele wollen dann nicht auf Fleisch verzichten, und das ist ja auch völlig legitim. Statt Rinderbraten planen sie jetzt aber ein Wildgericht, denn die Wildschwein-Bestände müssen ja sowieso kontrolliert werden. Meine Familie muss sich beim Weihnachtsmenü aber nicht umstellen, denn Fleisch essen wir schon länger nicht mehr. Seit dem vergangenen Jahr verzichten wir auch auf den Weihnachtsbaum. Stattdessen kleben wir mit bunten Klebestreifen einen Baum auf die Wohnzimmertür, und die Kinder schneiden Kugeln aus Pappe aus und kleben sie als Schmuck dran. Die Geschenke werden dann, verpackt in bunt bemaltem ­Zeitungspapier, vor der Weihnachtsbaum-Tür platziert. Beschenkt werden aber nur die Kinder. Dieser Zwangskonsum kurz vor dem Fest bringt doch niemandem was. Da kaufe ich lieber etwas unter dem Jahr, wenn ich zufällig das Passende finde. Aber auch die Kinder werden nicht überhäuft, meine Tochter bekommt zum Beispiel einen Ranzen für die weiterführende Schule. Aber wenn sie sich bestimmtes Spielzeug oder Bücher wünschen, bekommen sie das natürlich auch. Da hilft der gute alte Wunschzettel. Oft wünschen sich die Kinder auch selbstgenähte Kleidung, sogar mit Angabe von Farbe und Schnitt. Zu Weihnachten gehört auch ein Besuch unserer Verwandten im Ahrtal. Da kommt man nur mit dem Auto hin, und da wird auch gerne und viel Fleisch gegessen. Wir essen dann die Beilagen und halten uns ansonsten zurück. Ich finde, dass jeder sein Konsumverhalten reflektieren sollte, auch zu Weihnachten. Aber durch den erhobenen Zeigefinger wird die Festtagsstimmung nicht ausgelassener.

 

 

»Nein, Mama, dieses Jahr kommen wir nicht«

Wie der Klimanotstand Stadtrevue-Redakteur Christian Werthschulte hilft, an den Weihnachtstagen zu entspannen

Machen wir uns nichts vor: Weihnachten nachhaltig zu feiern, ist keine Raketenwissenschaft. Man muss nur zu Hause bleiben und mit Nachbarn und Freunden zusammensitzen, statt mit der erweiterten Familie. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch aus anderen Gründen.

Aber gleich zu Beginn möchte ich eine Gruppe gerne davon aus­nehmen: die Deutschen, für die die Feiertage die einzige Gelegenheit sind, Verwandte im Ausland zu besuchen, was der Rest der Deutschen gerne als »die fahren zurück in ihre Heimat« bezeichnet. Klar, auch diese Gruppe hat in den Wirtschaftswunderjahren kräftig dazu beigetragen, CO2 in die Atmosphäre zu blasen, ist aber dafür mit Hungerlöhnen, Beleidigungen und körperlicher Gewalt belohnt worden. Sie jetzt vom deutschen Klima­reinheitsgebot auszunehmen, ist ein Akt nachholender Gerechtigkeit.

Für Deutsche wie mich gilt diese Ausrede aber nicht. Wir sollten aus dem Klimanotstand eine Tugend machen. Anstatt die A1 zu ver­stopfen, um die Verwandtschaft im überhaupt nicht klimafreundlichen Einfamilienhaus zum klimakillenden Weihnachtsbraten zu besuchen, sollten wir in Köln bleiben. Und das nicht nur, weil der CO2-Fußabdruck von Großstadtbewohnern per se schon besser ist als auf dem Land.

Denn der größte Vorteil des Klimawandels ist es, dass man mit ihm alle Abneigungen begründen kann, die man bislang heimlich hegte. Ein Bekannter hat Flugangst, was er aber nie zugeben würde. Jetzt fliegt er einfach aus Klimaschutzgründen nicht mehr. Das ist gut für die Umwelt — und für ihn. So ist es auch mit Weihnachtsbesuchen bei der Familie. Wer keine Lust auf passiv-aggressive Konversation und nicht aufgearbeitete Konflikte hat, denen man mangels angenehmer Außentemperaturen nicht einmal mit einer Spritztour an den nächsten Stausee entkommen kann, der hat jetzt eine gute Ausrede: »Nein, Mama, dieses Jahr kommen wir euch nicht besuchen. Der Klimawandel, du weißt doch.« Das dadurch aufgesparte CO2-Budget kann man anderweitig verbraten: mit einem Kurzurlaub an der Nordsee, oder einem Besuch bei der Familie, wenn man wirklich Lust hat, sie zu sehen — und nicht, weil es die abendländische Tradition verlangt.