Kopfschütteln im scharfen Wind

»Einigkeit! Recht! Freiheit!« — das Motto für den Christopher Street Day 2020 spaltet die queere Szene. Pro und Kontra in der Stadtrevue

»Einigkeit! Recht! Freiheit!« — diese Begriffe aus der deutschen National­hymne bilden das Motto des Christopher Street Day 2020. Die queere Szene streitet: Verharmlost man damit den Rechtsruck? Oder beansprucht man mit dem Motto die Werte des Grundgesetzes für sich? Der Kölner Schwulen- und Lesbentag, der den CSD veranstaltet, ver­teidigt seine Entscheidung. Der Sexual­pädagoge Marco Kammholz widerspricht.

 

PRO

»Gegen toxischen Nationalismus«

Oliver Lau, Vorstandsmitglied und Pressesprecher des KLuST e.V., ver­teidigt die Entscheidung des Kölner Schwulen- und Lesbentags


Als »Einigkeit! Recht! Freiheit!« mit Mitgliedern des Kölner Lesben- und Schwulentags (KLuST) und Interessierten demokratisch zum Motto gewählt wurde, war allen klar, dass es für Diskussionen sorgen wird – für mehr als die üblichen Beißreflexe der LGBTIQ*-Community. Dem KLuST wird vorgeworfen, sich Rechtspopulisten anzubiedern. Es werden Deutsch­tümelei und nationalistische Tendenzen gewittert. Wer die Arbeit des KLuST verfolgt, kann nur den Kopf schütteln. Viele Veranstaltungen gegen Rechts, gegen Homo-, Trans-, Inter- und Bi-Phobie und vieles mehr werden ehrenamtlich organisiert und unterstützt. Wir schauen über den nationalen Tellerrand. Dieses Jahr ist eine KLuST-Vorständin mit einer Gruppe zum CSD in Kattowitz gefahren, um dort queere Menschen zu unterstützen.

Wir feiern nicht Deutschland. Wir interpretieren diese Worte für uns und versehen sie mit unseren Forderungen!

Das CSD-Motto besteht aus den drei ersten Wörtern unserer National­hymne, verfasst von einem Antisemiten, der damit gegen die Monarchie und für Parlamentarismus und Demokratie einstand. Man kann über die Hymne streiten, und man endet unweigerlich bei den Nazis, welche die erste Strophe missbrauchten. Was die Kritiker des Mottos geflissentlich übersehen sind die Ausrufezeichen hinter diesen Wörtern: Einigkeit! Recht! Freiheit! Sie sind nicht verhandelbare Forderungen und zitieren nicht einfach die Hymne. Wir feiern nicht Deutschland. Wir nehmen das Jubiläum zur Deutschen Einheit zum Anlass, diese Worte für uns zu interpretieren und mit unseren Forderungen zu versehen.

Wir brauchen eine Einheit in der vielfältigen Community, damit alle Menschen in diesem Land die gleichen Rechte bekommen, das gilt auch für queere Flüchtlinge, für die politisch noch viel passieren muss. Wir müssen unsere Rechte weiter einfordern. Wir müssen unsere Freiheit, so leben zu können, wie wir wollen, immer wieder verteidigen. Der CSD ist eine Demo für alle Menschen in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt. Das ist wichtiger denn je, der Wind von rechts weht scharf — werfen wir nur einen Blick nach Ungarn oder Polen. Dafür möchten wir unsere Besucher*innen sensibilisieren und kein neues Deutschlandmärchen schaffen. Nur das Engagement der Community und der Mitte der Gesell­schaft, die lange geschwiegen hat und Minderheiten noch immer im Stich lässt, kann etwas gegen die Rechten bewirken. Wir sehen Potenzial, mit dem kontroversen Motto Menschen gegen toxischen Nationalismus zu einigen und Freiheit mit dem Namen der Diversität einzufordern.

 

 

KONTRA

»Ein Motto für Partypatrioten«

Marco Kammholz, Sexualpädagoge und Schwulenaktivist, hat einen Offenen Brief gegen das CSD-Motto initiiert


Deutschland ist in aller Munde, besser gesagt in den Kehlen. Dass Nationalstolz offenbar von der Seele gebrüllt werden muss, macht ihn nicht nur zur ästhetischen Vollkatastrophe, sondern spricht Bände über die angeblich so »unverkrampften« Nationalgefühle. Aber das Erfolgskonzept des Christopher Street Day bestand bislang nicht aus dem Spiel mit nationalistischer Rhetorik, sondern vielmehr aus der Kombination von Frivolität, Solidarität und Beharrlichkeit.

Dennoch übt sich der Kölner Lesben- und Schwulentag (KLuST) nun auch in Party-Patriotismus und brüllt einen mit seinem Motto für den CSD 2020 an, das der deutschen Nationalhymne entnommen ist: »Einigkeit! Recht! Freiheit!« In einer gedankenlosen Erklärung des Vereins offenbart sich, wie weit sich die Schwulen-, Lesben- und Transbewegung vom Versprechen der Emanzipation für alle Menschen entfernen kann: »Dieses Land ist unser Land! Unser Grundgesetz, unsere Nationalhymne und unsere Einheit!«. Wer so etwas schreibt, argumentiert deutschnational, bedient sich nationaler ­Symbolik und macht mehr als deutlich, was Nationalismus, Deutschtümelei und Patriotismus bewirken: Ausschluss, Borniertheit, Selbstaufgabe. Braucht die LSBTIQ-Bewegung das? Nein, Schätzchen!

Auf Nationalismus und Druck von rechts antworten fortschrittliche soziale Bewegungen im besten Sinne queer: grenzübergreifend, solidarisch, zärtlich und entschieden!

Dass ausgerechnet die Demonstration sexueller und geschlechtlicher Minderheiten sich unter diesem Motto zusammenfinden soll, entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Schwule wurden jahrzehntelang strafrechtlich verfolgt. Lesben mussten Demütigungen im Familien- und Sexualstrafrecht über sich ergehen lassen. Transmenschen warten bis heute auf geschlechtliche Selbstbestimmung. Und in Deutschland, Europa und der Welt sind derweil rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch.

Braucht eine Welt voller autoritärer Führer also die LSBTIQ-Bewegung umso mehr? Ja, Liebes! Auf sich verschärfenden Nationalismus, auf Druck von rechts, auf migrations- und minderheitenfeindliche Mobilisierungen und auf die globalen Herausforderungen, antworten fortschrittliche soziale Bewegungen im besten Sinne queer: grenzübergreifend, solidarisch, zärtlich und entschieden. Es ist ganz einfach: Mit diesem Motto ist wirklich niemandem geholfen, außer den Partypatrioten und Deutschtümelnden. Bleibt es unverändert, müsste nüchtern festgestellt werden: Jede Stadt erhält das CSD-Motto, das sie verdient.

Achtung: Ort und Zeit geändert! jetzt:

»Einigkeit! Recht! Freiheit!«

Talk zum Motto des CSD 2020
Do 16.1., Sozialdienst Katholischer Frauen
Mauritiussteinweg 77-79, 19 Uhr
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