Installationsansicht Museum Ludwig, Köln 2019 | ©Wade Guyton, Foto: RBA Köln / Marc Weber

Lieber Drucker, drucke mir

In »MCMXCIX-MMXIX« macht der Künstler Wade Guyton nicht nur ein X für ein U vor

Wenn man in die 584 Seiten starke Publikation zur Ausstellung »WADE GUYTON — MXMXCIX-MMXIX — ZWEI DEKADEN« schaut, dann wird schnell klar, dass es ein besonderes Verhältnis des Künstlers Wade Guyton zum Kurator Yilmaz Dziewior gibt. Der heutige Museumsdirektor hat schon 2004 das erste Mal mit Guyton gearbeitet, 2005 dann eine Einzelausstellung im Hamburger Kunstverein realisiert und 2011 eine weitere im Kunsthaus Bregenz, dessen Leiter Dziewior damals war. Nicht nur die frühe Wertschätzung durch den Kurator verdichtet den Gedanken einer »arbeitenden Freundschaft«, auch das lange, bedeutungsvolle Gespräch, das dem Mammutverzeichnis vorangestellt ist, zeigt ein tiefes Verständnis und Vertrauen zwischen beiden. Das dort ausgewiesene Wissen um das komplexe Werk Guytons kann man sich aber auch im wirklichen Leben vor Augen führen: in der Ausstellung selbst.

Wade Guyton, 1972 in Indiana geboren und heute in New York beheimatet, gilt als einer der wichtigsten und aufregendsten Maler der Jetztzeit. Maler? Man könnte stutzen bei dem Begriff, ist doch bekannt, dass er seine bildlichen Werke mit Tintenstrahl-Druckern der Marke Epson realisiert. Es sind riesige Maschinen für industrielle Zwecke (im Entree zur Ausstellung sind sie, nun als »Werk« deklariert, unter blauem Teppich zu erahnen), die allerdings technisch kapitulieren und »Fehldrucke« produzieren, wenn der Künstler sie zweckentfremdend mit dicken Leinwänden füttert. Verwischungen, Tropfen, Schlieren verleihen als malerische Spuren diesen »Druckwerken« ihre sinnliche Qualität.

Ein breites Œuvre

Darüber hinaus gehören zu Guytons Œuvre Skulpturen, Zeichnungen, sowie starke Momente der Installativen Kunst. Das sind gleichwohl nur Fragen der Benennung und Einsortierung, die dem Werk keineswegs gerecht werden — wie diese Retrospektive über zwei Jahrzehnte Schaffen zeigt. Und augenscheinlich tut es den großformatigen Arbeiten auf grundierter Leinwand keinen Abbruch, dass sie nicht mit »der Hand« bearbeitet, sondern durch Drucker mit Farbe überzogen wurden. Diese Arbeiten waren in Köln schon mehrfach zu sehen, sowohl in der Galerie Gisela Capitain als auch im Museum Ludwig selbst, wo Guyton 2010 — noch zu Kasper Königs Zeiten — mit einer 7,6 mal 15 Meter großen Wandarbeit im DC-Saal reüssierte. Damals bespielte er die Hauptwand des hohen Saals mit acht Tafeln von je 175 cm Breite, einstmals die maximale Breite seines Druckers. Alternierende schwarze Flächen, die wie ein Mosaik oder Kacheln die Wand überzogen und zwischen abstrakter Neutralität, Sublimität und stofflicher Anziehungskraft changierten. Außerdem verdrängte Guyton, als Auftakt der Ausstellungsreihe »Schultze Projects«, mit seinem eigens für das Kölner Treppenhaus 2017 geschaffenen fünfteiligen Werk (wie alle weiteren unbetitelt) Rosenquists »Star Slinger«.

Beide Arbeiten sind Teil der Überblicksschau: Die für den DC-Saal entstandene Arbeit ist am gleichen Ort installiert, an der rechten Wand das um weitere Tafeln erweiterte Treppenhaus-Werk. Man sieht iPhone-Fotografien aus Guytons New Yorker Atelier, das »One World Trade Center«, die »56 Leonard Street« (derzeit eines der teuersten Hochhäuser der Welt), weiterhin die Reklame für das Handy, mit dem diese Fotos entstanden sind. Darüber hinaus weiß-rote Verwischungen, die sich aus einem drastischen Digitalzoom im Bild selbst ergaben.

Es ist eine Ausstellung mit enormer Bandbreite an Werken, dennoch kann man an beiden Arbeiten exemplarisch das Besondere an Guytons Arbeit erfassen. Es stellt sich nämlich keineswegs die Frage, ob dies Malerei ist — die Nähe zu »Bilderstürmern« wie Blinky Palermo, genauso zu den abstrakten Expressionisten und Minimalisten ist an dieser Stelle offensichtlich — und eklatant, selbst vor dem berühmten Yves Klein-Blau wird kein Halt gemacht.

Entzauberung von Säulenheiligen

An anderer entzaubert Guyton im Gestus des Post-Modernisten Säulenheilige der Moderne wie Marcel Breuer, dessen Freischwinger sowohl als verschränkt-verformte Skulpturen, als deren malerische Repräsentation oder eben in ihrer massenproduzierten Ahnenschaft an verschiedenen Stellen auftreten. Immer wieder wird die Kunstgeschichte zitiert, bearbeitet und in das »Now« der digitalen Bearbeitung und Handykameras übersetzt.

Wie üblich bei einer liebevoll kuratierten Ausstellung (an Dziewiors Seite: Leonie Radine als kuratorische Projektleiterin) fehlt es nicht an Schlüsselwerken. Die »Xe« und »Us«, mit denen Guyton berühmt wurde und schon 2013 die Millionen-Dollar-Marke knackten, sind ebenso vorhanden wie seine »Black Paintings«, die »Flammenbilder« und installative Werke, zu denen noch die Ledersofas aus seinem New Yorker Atelier gehören. Oder ein exakter Nachbau der hölzernen Garderobentheke der Carnegie Hall, die als elegante, hochglanzpolierte Barriere mitten im großen Ausstellungssaal parkt.

Für fünf Wochen hat Wade Guyton sein Studio nach Köln verlegt und vor Ort die Ausstellung mitgestaltet. Das Ergebnis ist beeindruckend: eine Highlight-Ausstellung für Fans moderner und aktueller malerischer Gesten, sinnlich und konzeptuell hervorragend.

Museum Ludwig, Di–So 10–18 Uhr
jeden 1. Do im Monat 10–22 Uhr
24., 25., 31.12. und 1.1. geschlossen, bis 1.3.