Die Tracks dem Leben abgelauscht: Roman Flügel | Foto: Thomas Venker

Aus den Fängen der Nacht

Roman Flügel ist das Sound-Chamäleon der Frankfurter Techno-Schule

Köln und Frankfurt haben auf den ersten Blick nicht sonderlich viel gemein. Während am Rhein die Zeit gerne langsamer läuft, hält am Main das Bankenwesen die Taktung erbarmungslos hoch. Was beide Städte jedoch eint, und hier laufen auch ihre Tempi synchron: Beide spielten für die Entwicklung von Techno in Deutschland eine herausragende Rolle. Während in Köln die Labels Kompakt und davor Delirium die eindrücklichsten Akzente setzten, waren es in Frankfurt Cocoon, das Label von Sven Väth, Hardfloor und nicht zuletzt Playhouse, Ongaku und Klang Elektronik, drei Labels, die Roman Flügel gemeinsam mit Heiko Schäfer, Atanasios Christos Macias und Jörn Elling Wuttke bis 2012 betrieb.

Den Labels ist es zu verdanken, dass Flügel und seine Freunde der Stadt stets die Treue gehalten haben (noch so eine Gemeinsamkeit mit den Kölner Techno-Protagonisten). »Es gab nicht die Idee eines kollektiven Umzugs, wir sahen uns als Firma hier in Frankfurt und fühlten uns wohl«, erinnert sich Flügel an damals natürlich durchgespielte strategische Über­legungen. Und so treffen wir uns eben nicht in der Mitte von einem Berlin, das eh schon längst nicht mehr ein »kultureller Hub« ist, wie man heute so doof sagt, sondern in seiner merkbar seit vielen Jahren mit Leben gefüllten Wohnung im Frankfurter Bahnhofsviertel.

Stellt man den Blick scharf auf die nun bereits mehr als ein Vierteljahrhundert andauernde Karriere von Roman Flügel, erstaunt, dass er entgegen aller Gesetze der Branche weder als DJ noch als Produzent je out war. Eines seiner ­vielen Projekte war immer gefragt, lange vor allem jene an der Seite von Jörn Elling Wuttke, namentlich Sensorama, Acid Jesus und vor allem Alter Ego, mit dem die beiden einen der ganz großen Hits der Technogeschichte verbuchen konnten: »Rocker«. In den vergangenen zehn Jahren knüpfte Flügel aber primär unter seinem Echtnamen an frühere Soloarbeiten, damals als Eight Miles High und Soylent Green, an. Zuletzt erschienen »All The Right Noises« auf Dial Records und »Themes I-XIII« auf ESP Institute.

Chicago House als Erweckungserlebnis

Fragt man Flügel nach dem Moment, wo das alles seinen Ursprung gefunden hat, so begibt man sich mit ihm auf eine Reise unter den familiären Weihnachtsbaum im Jahre 1987. Sein Bruder schenkte ihm damals die Compilation »Chicago Trax«. »Über sie kam ich erstmals mit unterschiedlichen Strömungen in Kontakt: Da war Chicago House drauf, mit Geschichten wie ›Rythim is Rythim‹, aber auch schon Detroit Techno«, führt er aus. Hatten bis dahin Genres wie EBM und New Beat und Acts wie Nitzer Ebb und Front 242 seine Welt geprägt, war da plötzlich »ein neuer Vibe zu spüren«. Alle wollten nur noch eins: »Jack Your Body« (so auch der Titel einer wegweisenden Produktion von Steve »Silk« Hurley). Frankfurt hatte mit dem Club Dorian Gray, später dem Omen und mit einem DJ wie Sven Väth die richtigen Clubs und den Magier aller Magier der Nächte zu bieten. Zwar war Flügel damals erst 16, aber das hielt ihn nicht ab: »Zwei älteren Freundinnen mussten mich immer reinschmuggeln«, erinnert er sich lachend. »Wir haben alles auf das Wochenende ausgerichtet, der Freitag war der Tag, an dem man loslassen konnte. Schließlich sind die Nächte immer länger geworden, das hat hier ja bereits 87/88 begonnen.«

Die Gefahr, sich gänzlich in den Fängen der Nacht zu verlieren, bestand aber nie, zu sehr drängte es Roman Flügel darauf, sich selbst künstlerisch einzubringen — auch wenn es ihm am richtigen Equipment fehlte: »Zu Beginn habe ich mir einen Drumcomputer, einen Synthesizer und ein Vierspurkassengerät gekauft und Rhythmus produziert, dann die Basslines von Hand eingespielt und ein paar Streicher oder Chords darüber gelegt. Dann gab es von Casio so einen ultrabilligen Sampler mit einer Samplezeit von zwei Sekunden und Platz für vier Samples, die man mit einem kleinen Mikrofon eingespielt hat. Das war die Keimzelle für meine Art zu produzieren«. erzählt er.

Ein Ohr für Nebenstränge

Auch wenn Flügel heute ein professionell aufgestelltes Studio hat und seine Produktionen dem state of the art entsprechen, so hört man doch jederzeit sein geschultes Ohr für die klanglichen Nebenstränge, sein Faible für einzelne Geräusche, gerade um eingeschliffene Strukturen und Erwartungen wieder in einen Zustand der Offenheit zu versetzen — Flügel agiert nicht mit der einen Arbeitsweise, sondern wählt die Freiheit, stets neu zu justieren. Eine Unbefangenheit, der sich leider nicht wenige Produzenten verwehren. »Der Club spielt so eine große Rolle bei mir, die Wochenenden dominieren mein Leben, aber im Studio gelten andere Regeln«, erklärt er. »Es bleibt mir gar nichts anderes, als das so auszuleben, denn alles andere wäre mir irgendwann zu monochrom.« Für einen Moment atmet Flügel aus, dann ergänzt er: »Nein, ich brauche niemand, der mich motiviert oder anspornt. Ich gehe sowieso jede Woche ins Studio und nehme auf. Da muss mich niemand hintragen, das wäre ja verrückt, schließlich ist es das, was ich immer machen wollte, es ist mein Ventil.«

Das aktuelle Album »Themes I-XIII« bringt all das Gesagte auf den Punkt. Flügel blendet die Funktionalität des Clubs aus und gibt sich melancholischer Soundminiaturen hin, die gleichermaßen von Musique concrète, Ambient und Minimal gespeist werden als auch von zunächst entfernt scheinenden Einflüssen aus Folk und Pop. Das Schöne ist aber, dass die Mischung aus Skizzen und Stücken derart konkrete Zuschreibungen ausblenden und man einfach loslässt und im besten aller Sinne in der Musik aufgeht.