Neue Kontexte für die Aufklärung: Pierre-Laurent Aimard

Aufstand der Titanen

Das Gürzenich Orchester rückt Beethoven in ein neues Licht

Seine Musik ist triumphaler Ausdruck des siegreichen Bürgertums. Beethoven vereint Klassik mit Romantik, lichte Aufklärung mit dunklem Mythos. Eine Veranstaltung nimmt sich im BTHVN-Getöse zu dessen 250. Geburtstag angenehm zurückhaltend aus: Das Gürzenich Orchester weckt keine toten »Genies«, sondern tritt mit Komponisten in einer »Séance« in Kontakt, Beethovens Ideen der Aufklärung und Avantgarde folgend. Kapellmeister François-Xavier Roth ruft unter dieser Prämisse mit dem Lyoneser Pianisten Pierre-Laurent Aimard den Bürgerkomponisten im Kontext einiger seiner Nachfolger an: So hat die renommierte Komponistin ­Isabel Mundry Interludien als spiritistische Medien geschrieben, die Werke von Beethoven mit ­solchen von Bernd Alois Zimmermann, Helmut Lachenmann und Francesco Filidei verbinden. 

Von dem Kölner Zimmermann (1918–1970), im Mainstream bislang wenig bekannter Komponist von Weltrang, wird »Photoptosis« (1968) zu hören sein. Der Titel verweist auf das Nuancenspiel, das die berühmten »blauen« Bilder von Yves Klein je nach Lichteinfall ­entwickeln können. Im Mittelteil zitiert er u.a. Beethovens Neunte, was wiederum auf Zimmermanns Idee von der »Kugelgestalt der Zeit« zurückzuführen ist. Seine Musik ist aber vor allem Ausdruck der Erfahrungen, die er im Weltkrieg machte: als tongewordene Anklage der in die Barbarei gestürzten ­Aufklärung.

Helmut Lachenmann (*1935), der wohl bekannteste deutsche Komponist seiner Generation, hat in seinem kompakten Stück »Tableau« (1988) das ­Verschwinden des Klangs in Ton gesetzt. Wesensverwandt mit seiner »musique concrête instrumentale« sind die plastischen Geräuschkompositionen des Pisaner Komponisten Filidei; der wird auf die »imperiale Geste von Beethovens 5. Klavier­konzert mit subversivem Geist« in Form eines eigens hierfür kom­ponierten zehnminütigen Klavierkonzertes reagieren. Beide Komponisten konfrontieren ­Beethovens Romantik mit der materialistischen Ästhetik ihrer Nicht-Musik. 

Hier schließt sich dann der Kreis. Niemand anderes als Theodor W. Adorno hat die Dialektik, die sich in Beethovens Werk zeigt, in überraschenderweise Weise aufgeknüpft: Gerade dort wo Beethoven das Elementare zu Gehör bringt (und damit das Individuum zum Verschwinden trachtet), dort findet er dessen »Humanität«.