Unter Druck: Kelvin Harrison Jr.

Waves

Trey Edward Shults erzählt kühn und virtuos vom afroamerikanischen Mittelstand

Euphorie und ein Gefühl der Bedrohung durchdringen sich schon in der Eröffnungsszene: Ein jugendliches Paar ist mit dem Auto auf einem Highway im Süden Floridas unterwegs, die Gesichter leuchten im Rausch der Geschwindigkeit und der ersten Liebe. Die Musik von Animal Collective wummert in den Lautsprechern, während sich die Kamera im Kreis dreht, als solle ihr kein Detail entgehen. Jeden Moment, so fürchtet man, könnte dieses Schweben durch einen Unfall sein Ende finden.

Es ist ein Auftakt nach Maß, kühn und virtuos, und er macht gleich klar, dass Tray Edward Shults auf Expressivität setzt. Der 31-jährige Texaner kam über ein Praktikum bei Terrence Malick zum Film. In Shults immersivem Stil mit den lyrisch taumelnden Bildern meint man das auch wiederzuerkennen. Zugleich ist dieser vom Hipster-Studio A24 produzierte Film auch ganz zeitgemäß: Seine Schauplätze und Farben erinnern etwa an Barry Jenkins’ »Moonlight«, mit dem es auch inhaltliche Überschneidungen gibt. 

In der Mitte des Films steht ein tragisches Ereignis, ein unkontrollierter Wutausbruch. »Waves« wird dadurch in zwei Hälften geteilt: In der einen geht es um Ehrgeiz, Zorn und überschießende Gefühle, in der anderen Hälfte überwiegen Trauer und die Suche nach Erlösung. 

Im ersten Hälfte von »Waves« ist Tyler (Kelvin Harrison Jr., mit dem Shults das Buch entwickelt hat) der Dynamo der Geschichte: ein schwarzer Jugendlicher, der von seinem Vater auf Erfolg getrimmt wurde — nicht nur beim Ringsport, wo er als aufstrebendes Talent gilt. Shults ist souverän darin, für die sozialen Druckverhältnisse einer mittelständischen afroamerikanischen Familie Bilder zu finden, in denen sich nicht sofort alles offenbart. Die Zerbrechlichkeit steckt im unhinterfragten Anspruch, immer ein Stück besser als die anderen sein zu müssen. Tyler verkörpert diesen Druck. Genauer: Die Kamera von Drew Daves macht sich diesen zu eigen, indem sie rastlos seinem Körper folgt. Unterstützt von Trent Reznors Score scheint der Film immer nahe daran zu sein, an Überladung zu implodieren.

In der zweiten Hälfte des Films verschiebt sich der Blick auf Tylers Schwester Emily, die sich aus guten Gründen von ihrem Umfeld zurückgezogen hat. Mit Emily wechselt auch der Film sein Tempo, die Einstellungen gewinnen an Dauer und an zärtlicher Intensität. Doch Shults bleibt auch in diesem Teil der Suche nach Empfindungen verpflichtet: Emily findet Schutz und Trost in der Nähe des weißen Schulfreund Luke. Die widerstreitenden Wellen des Films scheinen sich auf ihrem so ausdrucksstarken Gesicht abzuzeichnen.

USDA 2019, R: Trey Edward Shults, D: Kelvin Harrison Jr., Taylor Russell, Alexa Demie, 135 Min.