Die Schönheit der Unorte: »Semiotics of the City«

Planen für den Ausnahme­zustand

Die Internationalen Kurz­film­tage Ober­hausen finden online statt — mit starker Kölner Beteiligung

Stadtbilder blitzen über die Leinwand: eine Straßenszene hinter einer Bauplane, eine Werbung umrahmt von Grün, zwei leere Plakatrahmen. Daniel Burkhardts Kurzfilm »Semiotics of the City« besteht aus Bildern, die von einer automatisierten Stimme verschlagwortet werden: »Werbung, Tiere, Glocken, Wege …« Die Worte verdichten den kleinen Bildkorpus, sie schärfen den Blick für Details wie Kabel und Überwachungskameras — bis die Verschlagwortung ins Absurde kippt und die Sinnsuche der Zuschauer beim Sehen des Films ins Nichts läuft.

Der Film des Kölners ist Teil des NRW-Wettbewerbs der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Das Festival findet dieses Jahr wegen der Corona-Krise nicht in seiner üblichen Form statt. Ein großer Teil des Programms kann aber auf der Homepage des Festivals gestreamt werden. Auch diesmal sind dabei quer durch verschiedene Programme der Kurzfilmtage Filme mit Kölner Beteiligung vertreten.

Martin Brands »Casuality and Meaning« zeigt ein ganzes Universum aus Versatzstücken überhöhter, toxischer Männlichkeit und rechter Ideologie. Krzysztof Honowskis »Beasts of No Nation« hingegen beginnt mit Bildern der Einsamkeit. Ein Mann erklimmt den steilen Anstieg einer Achterbahn, ein Wagen nähert sich allmählich dem höchsten Punkt. Es folgen Bilder bengalischer Feuer, zwischen denen sich Menschenmengen erahnen lassen. Im Text, den eine weibliche Erzählstimme vorträgt, verdichten sich Bilder aus der Erinnerung mit Erfahrungen rassistischer Ablehnung. Der als Kind polnischer Einwanderer in London geborene Regisseur Krzysztof Honowski lebt heute in Köln. Sein Film ist deutlich als Versuch erkennbar, sich dem aufflammenden Nationalismus in Polen und Großbritannien zu nähern. Spielerisch lässt Honowski die Erzählung der Kommentarstimme scheitern.

Die Filme von Brand und Honowski werden im Deutschen Wettbewerb gezeigt, ebenso wie Luise Donschens »Ganze Tage zusammen«, in dem eine junge Frau Abschied nimmt. Schweigend betrachtet sie die Welt um sich herum. Die Epilepsie, die sie bislang begleitete, wird besser, die Sommer­ferien sind nah und die Zeit, die sie mit ihren Mitschülern verbracht hat, nähert sich dem Ende. »Ganze Tage zusammen« zeigt einen Aufbruch, die junge Frau traut sich in neue Gefilde. Donschens Film setzt statt auf geschwätzige Dialoge auf Bilder mit präzisen Beobachtungen, stellt die vertraute Welt der jungen Frau im Detail vor. Der Rhythmus der Bildmontage gibt Raum für die Melancholie des Abschieds und das Abenteuer des Aufbruchs.

Alles liegt bereit. Hinter der Tür stehen Stühle unter Plastikfolie, an der Wand darüber Klemmbretter mit Checklisten, die im Krisenfall abzuhaken sind. Einen Raum weiter Sandsäcke und noch mehr Sandsäcke. Paul Reinholz, Student der Kölner Kunsthochschule für Medien, zeigt in seinem Abschlussfilm »There May Be Uncertainty« Orte der Krisenvorbereitung. »Der Versuch, das nicht Planbare planbar zu machen, vereint Staaten, Unternehmen und Privatleute«, heißt es im Text zum Film. Erdbeben und Überschwemmungen werden simuliert, Ernährungsreserven angelegt, Krankenhausbetten vorgehalten. Reinholz besucht Orte, die nie genutzt werden, wenn alles gut geht. In ruhigen, symmetrischen Bildern zeigt sein Film menschenleere Hallen und Anlagen, deren potenzieller Nutzen sich erst allmählich offenbart. Reinholz’ Filme haben sich wiederholt der Verwaltung zugewandt. Vor fünf Jahren zeigte er in »Ein Deutsches Amt« die Arbeit des Eich- und Beschussamtes in Köln.

Im Mikrokosmos von Filmen mit Kölner Mitwirkung bei den Kurzfilmtagen spiegelt sich die ganze Bandbreite von filmischen Formen, die die Wett­bewerbe in Oberhausen prägen — von minimalistischen Experimental­filmen bis zu dicht inszenierten Kurzspielfilmen oder Animationsfilmen ist alles dabei.

Rainer Knepperges belebt den diesjährigen NRW-Wettbewerb mit seinem neusten Film »Play Me That Silicon Waltz Again«. Aus der mit einem Walzer unterlegten Animation eines Defragmentierungsprogramms aus der grauen Vergangenheit von Microsoft Windows verfertigt er eine filmische Miniatur, in der die Technikgeschichte verflossener Betriebs­systeme ebenso aufscheint wie die minimalistische Grafik von Computerspielen der vergangenen Jahrzehnte wie Tetris. Durch die Leichtigkeit des Films hindurch klingt nicht zuletzt dank der Musik der Humor von Filmklassikern wie Jacques Tatis Technologiegroteske »Mon oncle« an. In knapp vier Minuten bläst Knepperges den Zuschauern einmal die Gehirnwindungen durch und entlässt sie mit einem Lächeln in den nächsten Film.

Das Online-Festival

Über 300 Filme werden die Kurzfilmtage online zugänglich machen, das sind ca. zwei Drittel des ursprünglich geplanten Programms. Fast vollständig vertreten sind z.B. die fünf Wettbewerbe des Festivals — Internationaler Wettbewerb, Deutscher Wettbewerb, NRW-Wettbewerb, Kinder- und Jugendfilmwettbewerb sowie der Musikvideo-Preis. Komplett ausfallen wird das große Themenprogramm »Solidarität als Störung«, das eventuell nächstes Jahr nachgeholt wird. Wer die Filme online sehen will, kann für 9,99 einen Festivalpass erwerben und hat damit Zugriff auf alle Programme. Die Filme werden in der Festivalzeit nach und nach online gestellt und sind jeweils für 48 Stunden freigeschaltet.

Zugang über: kurzfilmtage.de

 

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