Konzentrierte Musik für ernste Zeiten: Stefan Schönegg

Stefan Schönegg: Enso

In der Krise ist Improvisation das Beste, was man machen kann

Improvisierte Musik wird heutzutage ganz selbstverständlich in den Kanon der gegenwärtigen Musik eingerückt, oftmals von denselben Kuratoren und Meinungsmachern, die »Improv« und Free Jazz zuvor abschätzig belächelt hatten. Vermutlich ein Missverständnis: Denn der Hörmodus, den sie uns empfehlen, um sich dieser Musik, die per se alle Konventionen und Hörgewohnheiten abweist und unterläuft, zu nähern, ist der Rausch, die Ekstase, das bedingungslose Eintauchen. Damit erfasst man aber nur einen Bruchteil dieser Musik.

Den beiden »Enso«-Veröffentlichungen Stefan Schöneggs sollte — und kann — man sich so nicht nähern. Sie verlangt höchste Konzentration und sie belohnt reich. Es ist ökonomische Musik, sparsam instrumentiert (auch wenn auf »BIG Enso« acht Musiker versammelt sind), höchst konzentriert gespielt, viel Raum und Lücken lassend, wundersamerweise doch dicht und straff gespannt. Wie groß der Anteil des kompositorischen Inputs ist und wie weitreichend die freie Umsetzung: Wir wissen es nicht, wir wissen aber, dass es bei dieser so homogenen, konsistenten Musik nicht darauf ankommt.

Stefan Schönegg, Jahrgang 1986, ist Bassist und eine der festen Größen der Kölner Improv- und Jazz-Szene. Er ist im radikalen Netzwerk Impakt engagiert, dem Kölner Zusammenschluss von Improvisatorinnen und Improvisatoren, das jetzt die »Enso«-Veröffentlichungen herausgebracht hat. Es ist sinnvoll, »Enso. Zyklus«, eine Quartett-Einspielung, und »BIG Enso«, die »Bigband-Variante«, als höhere Einheit zu verstehen. Auf beiden Alben spiegelt sich das strukturalistische Vorgehen Schöneggs, als würden sie sich gegenseitig kommentieren. Die Tiefe, die große Weite, die diese Musik suggeriert, auch ihre raren konventionell harmonischen Momente potenzieren sich dadurch. Erhabene Präsenz stellt sich ein, als säßen die Musiker um einen herum und kommunizierten blind miteinander.

Improvisierte Musik war immer prekär — vor allem ökonomisch —, aber sie war auch immer glücklich. In den 50, 60 Jahren ihrer Existenz war sie nie kleinzukriegen, sondern wuchs und, wie Schönegg demonstriert, entwickelte sich weiter. Das ist durchaus ein Lebensmodell — und in der Krise: ein Überlebensmodell.

Tonträger: Stefan Schönegg: »Enso. Zyklus« und »BIG Enso«
impaktrecords.de, stefanschoenegg.de