Klänge in Quarantäne: O Yuki Conjugate

In die Untiefen unserer Träume

Mit ihrem »dirty ambient« spielen O Yuki Conjugate den Soundtrack zur Zeit

Bis zum (erwarteten) Einbruch durch das Corona-Virus konnte die Plattenindustrie in den letzten fünf Jahren stetig wachsende Umsätze verzeichnen. Das Vinyl-Revival hat inzwischen seinen eigenen Wikipedia-Eintrag. Heute wird tatsächlich mehr Vinyl verkauft als in den 80ern. Was damals in kleinen Stückzahlen veröffentlicht wurde, auf Flohmärkten und der Plattform Discogs heute hohe Preise erzielt, wird mit großer Sicherheit wieder aufgelegt. »Es ist wahnsinnig cool, dass ›Into Dark Water‹ nach all der Zeit wieder in die Läden kommt«, erzählt uns Andrew Hulme.

Die besagte Platte kam vor 33 Jahren, also 1987, in die Plattenläden und stammt von O Yuki Conjugate aus Nottingham. Hulme bildet seit der Gründung 1982 zusammen mit Roger Horberry den Kern der Band. Abgesehen von wechselndem Personal und auch längeren Pausen besteht die Band durchgängig seit fast vierzig Jahren — war aber lange Jahre nur Insidern bekannt. Heute zählen O Yuki Conjugate zu den prominentesten Vertreter des Post-Industrial — auch wenn sie selbst Probleme mit dem Begriff haben. »Wir versuchen auf meditativen Weg die Zusammenhänge von Raum, Zeit, Gedächtnis und Traum zu erforschen«, sagen sie im Interview.

Ihre langerwartete Show in Köln, geplant für den 2. Mai im Gewölbe, musste wegen der Corona-Krise abgesagt werden.

Ihr scheint mit dem Begriff »Post-Industrial« nie warm geworden zu sein, habt eure Musik selbst »dirty ambient« genannt. Was bedeutet das für euch?

Wir haben Ambient immer im Sinne von Brian Eno gedacht, als Musik, die Platz in ihrer Umgebung findet. Als House in den späten 80ern groß wurde, nahm man dann den Begriff, um alles zu beschreiben, was chill out war. Musik zum Runterkommen. Auch heute wird der Begriff in der Weise missbraucht; das ist unsere Meinung nach falsch. Mit »dirty ambient« wollen wir dieses Feld zurückerobern. Es sollte anzeigen, dass
die Musik manchmal hässlich ist, manchmal fehlerhaft; und ganz sicher nicht nur Hintergrundmusik.

Wie würdet ihr jemandem, der nicht so tief in Diskursen drinsteckt, erklären, was euch musikalisch ausmacht?

Unsere eigene Musik zu beschreiben ist eigentlich nicht unser Ding. Wir können es uns einfach machen und sagen: Es klingt wie ein Soundtrack. Damit killt man jedes Gespräch, weil das alles und nichts bedeutet. Ich möchte aber gerne auf deine Frage eingehen. Viel passiert auf der emotionalen Seite; wir wollen den Hörern die Chance geben in eine andere Welt einzutauchen. Unser letztes Album »Sleepwalker« (2018 auf dem Kölner Label »auf abwegen« erschienen, Anm. d. Autors) nahm einen bisweilen mit in die Untiefen von Träumen; meistens waren es Alpträume. Ein dazugehöriger Film hat diese emotional-aufgeladene Reise nochmal zusätzlich untermalt.

Der Begriff »Post-Industrial« zeigte zeitgleich an, dass es eine gewisse Traditionslinie von Bands wie Throbbing Gristle zu euch gab. Kam es auch zu einem direkten Austausch?

Tatsächlich gar nicht. Genesis P-Orridge, der gerade erst gestorben ist, haben wir zum Beispiel nie kennen gelernt. Throbbing Gristle und Cabaret Voltaire waren aber die Helden unserer Jugend. Bei uns findet man sicherlich musikalische Ideen, die damals entstanden sind. Wie zum Beispiel der eben schon angesprochene »Dreck«, den man bei uns an vielen Ecken findet. Eine direkte Nachfolgerschaft sehen wir hingegen nicht.

Wäre denn jemand wie Jon Hassell und sein »Fourth World«-Ansatz eine Referenz, mit der ihr gut lebt?

Als das Album »Fourth World Vol. 1« von Hassell und Brian Eno rauskam, war das eine Offenbarung. Die Idee, Erste und Dritte Welt zusammen zu denken, was musikalisch meistens meinte, dass man elektronische und organische Elemente zusammenbringt, war für uns in den Anfangstagen und den ersten Alben sehr prägend. Es steckte eine Hoffnung in dem Begriff: Musik losgelöst von kultureller Vorprägung zu entwickeln. Doch »Fourth World« ist schnell zum billigen Klischee geworden und wurde für viel Mist benutzt. Umso lustiger, dass in letzter Zeit der Begriff ein solches Revival feiern durfte.

Ihr habt 2017 das Album »Tropic« veröffentlicht, letztes Jahr folgte eben »Sleepwalker«. Beide kamen in Köln heraus. Wie kam es dazu?

Vorne weg: Wir sind in der vierten Inkarnation als Band. In einer sehr produktiven könnte man sagen. Wir haben uns immer wieder Auszeiten genommen. 2010 kam es zum Kontakt mit Till Kniola von »auf abwegen«. Wir haben dann altes Material neu aufgenommen. Dabei entstand »Tropic«. Till hat uns ermutigt, wieder live zu spielen. And here we are …

Tonträger: »Into Dark Water« und »Peyote« sind auf Emotional Rescue wiederveröffentlicht worden