Ermittler mit Minderwertigkeitskomplex: Kang-ho Song

Memories of Murder

Bong Joon-ho (»Parasite«) ist ein Meister der präzisen Beiläufigkeit

Auch Oscarwunder fallen nicht vom Himmel: Als Bong Joon-ho in diesem Jahr mit »Parasite« in den wichtigsten Kategorien der Academy Awards abräumte, schrieb der südkoreanische Regisseur nicht nur insofern Filmgeschichte, dass ein fremdsprachiger Film erstmals in der Oscarnacht derart viel Aufmerksamkeit auf sich zog.

Der Abend war auch der vorläufige Höhepunkt des südkoreanischen Filmwunders. Auf Basis der Mitte der 90er Jahre abgeschafften Filmzensur und begünstigt durch eine Quotenregelung ging das südkoreanische Kino um 2000 aus den Trümmern der asiatischen Finanzkrise gestärkt hervor. In kurzer Zeit etablierte es sich mit spektakulären Blockbustern, originellen Genre- und avancierten Autorenfilmen als wichtige Stimme des Weltkinos.

Werke von Regisseure wie Park Chan-wook, Kim Ki-duk und Hong Sang-soo zieren seitdem jedes Filmfestival. Auch Bong Joon-ho gilt nicht erst seit »Parasite« als einer der bedeutendsten Meister des südkoreanischen Kinos — und das zurecht, wie die Blu-ray-Premiere von »Memories of Murder« unterstreicht, einem hochkonzentrierten Krimi von 2003.

Die Stadt Hwaseong im Herbst 1986: Ein Serienmörder treibt sein Unwesen. Die Polizei, allen voran Ermittler Park Doo-man, ist überfordert. Mangelnde Kompetenz, antiquierte Ermittlungsmethoden, Geltungssucht und Machtmissbrauch — das Land war seinerzeit eine Militärdiktatur — führen dazu, die Taten eher zu verdunkeln als aufzuklären. Der Öffentlichkeit soll aber um jeden Preis ein Ergebnis präsentiert werden.

Erst als der Ermittler Seo Tae-yoon aus Seoul eingeschaltet wird, geht die Polizei wichtigen Spuren nach. Polizeigewalt hält Seo für keine sinnvolle Arbeitsmethode. Er studiert lieber Dokumente, statt seinem Bauchgefühl nachzugehen: »Dokumente lügen nie«, sagt er. Eine Weltsicht, die auf eine harte Bewährungsprobe gestellt wird: Es wird zwar ein dringend Tatverdächtiger ermittelt, aber es fehlt der letzte Indiz-Baustein, um ihn zu überführen.

»Memories of Murder« basiert, wie zahlreiche weitere koreanische Thriller, auf einer realen Mordserie, die tatsächlich erst im Herbst 2019 einem bereits für andere Verbrechen inhaftierten Täter zugeordnet werden konnte. Eine DNA-Analyse machte es möglich.

Eine bittere Ironie der Geschichte, denn »Memories of Murder« handelt über weite Strecken davon, wie Polizeiarbeit wegen verschiedener Defizite an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gerät: Ein Klarheit versprechender DNA-Test muss erst langwierig in den USA bestellt werden (wie die Zeiten sich ändern!). Eine Szene später sehen wir den Polizisten dabei zu, wie sie ihr notorisch defektes Auto anschieben müssen. Auch dass Park Doo-man seine Männlichkeit für unzureichend hält, scheint immer wieder durch und wird mit koreanischen Minderwertigkeitskomplexen verknüpft: »Die USA sind riesig, durch Korea kann man zu Fuß laufen — Korea ist so klein wie mein Schwanz.«

Sich bei ihrer Arbeit verzettelnde Ermittler, deren Weltbild darüber zu erodieren droht — ein Standardmotiv des Polizeifilms, das bei Bong Joon-ho zur Reflexion über die Geschichte des eigenen Landes genutzt wird. In »Memories of Murder« zeigt sich die Finesse des »Parasite«-Regisseurs darin, anhand von Genrestoffen unangestrengt sozialpolitische Sondierungen zu unternehmen: Show, don’t tell!

Vor allem aber erweist sich Bong als Frühvollendeter, der bereits zu Beginn seiner Karriere seine filmischen Mittel souverän beherrscht: Es lohnt sich, etwa einen genauen Blick auf die Figuren-Choreografie zu legen. Timing, Abstimmung, Komplexität selbst in schluffigsten Abläufen: »Memories of Murder« ist nicht zuletzt ein meisterliches Filmballett der präzisen Beiläufigkeit.

 

(Salinui chueok) 2003, R: Bong Joon-ho, D: Song Kang-ho, Kim Sang-kyung, Kim Roe-ha. Auf Blu-ray ab 15.5.