»Corona-Ferien« sind so langweilig: Erlebnisberichte aus der Quarantäne

Freundschaftsschwüre via Internet

Klassenkonferenzen per Zoom und Spielen vor dem Bildschirm — wie erleben Kinder diese Zeit?

 

Der Alltag meiner 6-jährigen Tochter spielt sich seit Wochen auch im Internet ab: Jeden Mittwoch trifft sich ihre Klasse zur »Morgenrunde« bei Zoom. Dann pfeifen wie immer die Wellensittiche ihrer Klassenkameradin im Hintergrund, ein Junge hält stolz mit dem Smartphone auf seine kürzlich geborene Schwester und wenn ein kaputtes Mikrofon mal wieder die Stimme eines Kindes verzerrt, kichern alle fröhlich.

Vor kurzem hat sie auch mit ihrer besten Freundin geskypet — Liebesschwüre, inklusive. Die eine im Agnesviertel, die andere in der Innenstadt, seit Wochen hatten sie sich nicht mehr gesehen. Nach ein paar Minuten hatten meine Tochter und ihre Freundin Höhlen um die Computer herum gebaut, alle Oster-Süßigkeiten hinein geschleppt und saßen mit schokoladenverschmierten Gesichtern zwischen Decken und Kissen im dämmrigen Licht. Vor flimmernden Bild­schirmen spielten sie miteinander. Zwei kleine Digital Natives in Zeiten von Corona.

Wann die Kontaktsperre endet, ist bislang noch ungewiss. Genau wie die Frage, wann ein normaler Tag in der Schule wieder möglich sein wird. Das Schulministerium in NRW gibt auf seiner Internetseite Empfehlungen für das Lernen Zuhause, auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat einen Homeschooling-Ratgeber veröffentlicht — und im Netz häufen sich Tipps für Eltern, wie man das Pendeln zwischen Home Office und Kinderbetreuung am besten bewältigen kann.

Aber wie erleben eigentlich die Kinder diese Zeit? Was sind ihre Sorgen? Und welche Momente sind für sie gerade besonders schön — oder machen sie traurig? In dieser Ausgabe der Stadtrevue haben wir Stimmen gesammelt: Von ihnen, die vieles nur am Rande mitbekommen und anderes mit unverfälschter Deutlichkeit auf den Punkt bringen. »Wahrscheinlich werde ich davon noch meinen Enkeln erzählen«, sagte eines der Kinder am Telefon — so lange wollen wir aber nicht warten. Statt dessen über­lassen wir ihnen auf der folgenden Seite nun das Wort: Auf dass sie schon jetzt die Welt aus ihrer Per­spektive erzählen.

Manouk, 6 Jahre

Alle reden über Klopapier. Ich glaube, die Leute haben Angst, dass sie sich bald nicht mehr den Po abwischen können. Ich mach mir eigentlich nur Sorgen um meine Uroma, weil die schon so alt ist. Trotzdem waren die letzten Wochen auch oft schön: Meine Eltern haben jetzt ganz viel Zeit für mich. Sie arbeiten immer abends, wenn ich schlafe — oder in der Woche, in der ich bei dem jeweils anderen bin. Am besten hat mir gefallen, als meine Mama mir das Nähen beigebracht hat. Aber wenn wir miteinander Lernzeit machen, nervt sie total. Sie ist viel strenger als meine Lehrerin und ich vermisse das Spielen mit meinen Freundinnen auf dem Schulhof. Wenn das alles vorbei ist, will ich mich ganz viel verabreden und nicht mehr auf den Abstand achten müssen.

Nike, 7 Jahre

Kinder können sich nicht so gut die Zeit vertreiben wie Erwachsene. Deswegen sind die »Corona-Ferien« für uns besonders langweilig — aber wir hatten Glück. Sehr viele Menschen haben befürchtet, dass wir überhaupt nicht mehr raus gehen dürfen. In Italien darf man das nur noch, wenn man einen Hund hat. Ich habe mir deswegen überlegt, dass es jetzt eine gute Gelegenheit sein könnte, um sich auch einen Hund zuzulegen — um vorbe­reitet zu sein, falls die Ausgangssperre doch noch kommt. Das Traurigste war für mich, als die Schule ganz plötzlich einfach zugemacht hat. Bis dahin hab ich nicht geglaubt, dass Corona so schlimm ist. Jetzt treffe ich mich jeden Tag mit derselben Freundin: Es macht einfach mehr Spaß mit Kindern zu spielen, auch weil die bei Playmobil ihre Stimmen besser verstellen ­können.

Valentina, 10 Jahre

Der schönste Moment in den letzten Wochen war, als wir alle zusammen eine Morgenrunde gedreht haben. Da haben im Park ganz viele Blumen geblüht, alle in einer Reihe. Ich mach mir ein bisschen Sorgen wegen Mamas Job, aber unsere Katzen heitern uns auf. Eine lag neulich auf meinem Schoß und hat geschnurrt, während ich Lernzeit gemacht habe. Übrigens haben Vincent und ich schon ein paar Tricks, um uns vor den Schulaufgaben zu drücken: Bei der Morgenrunde trödeln wir manchmal extra lange und dann stellen wir Mama richtig blöde Fragen. Aber eigentlich sind wir fleißig. Für uns Viertklässler ist es extra blöd, weil auch unsere letzte Klassenfahrt ausfällt. In unser Fenster haben wir einen Regenbogen gehängt, das machen ganz viele Leute gerade: als Zeichen dafür, dass es immer weiter geht.

Vincent, 10 Jahre

Manchmal kommt Valentina in mein Zimmer und nervt, weil sie einen Lego-Stein von mir haben will. Aber die ganze restliche Zeit über bin ich froh, dass ich sie habe. Ohne Valentina wäre es jetzt total langweilig. Am traurigsten bin ich darüber, dass in diesem Jahr wahrscheinlich die Bundesjugendspiele ausfallen werden — dabei wollte ich dort meine Ehrenurkunde machen. Schon das ganze letzte Jahr habe ich mich darauf gefreut. Statt dessen lese ich weiter in meiner Buchreihe: Von 36 Büchern hab ich schon 15 durch. Ich denke mal, dass die noch ein paar Jahre halten werden, aber so lange dauert Corona hoffentlich nicht mehr. Manchmal telefoniere ich mit meinem Freund aus der Schule oder mit Opa, den wollen wir dann auch bald wieder besuchen.

Hugo, 6 Jahre

Vor kurzem habe ich neue Schuhe bekommen. Total komisch, wo doch alle Geschäfte geschlossen sind! Ich wüsste gerne mal, woher meine Eltern die haben. Die letzten Wochen waren für mich schön: Wir waren oft in unserem Schrebergarten, weil meine Schwester und ich uns hier austoben können. Meine Mama ist jetzt zuhause, sie bekommt bald ein Baby, und Papa arbeitet tagsüber mit Ohrenschützern im Wohnzimmer. Da brauchen wir dann auch nicht leise sein. Morgens hören wir beim Frühstücken immer die neuesten Nachrichten im Radio, aber ich versteh davon nur manches. Meinen Kindergeburtstag mussten wir wegen Corona ausfallen lassen — da war ich ein bisschen traurig. Zum Glück war ich davor noch mit Freunden für ein Wochenende in einer Jugendherberge, da durften wir uns ja noch sehen.

Greta, 10 Jahre

Am Anfang hatte ich schon ein bisschen Angst: Dass ich überhaupt nicht mehr in die Schule kann, bevor ich auf die weiterführende wechsle — oder meine Eltern krank werden. Aber jetzt hat sich das wieder etwas beruhigt. Meine Eltern sind oft in Telefonkonferenzen, ich geh dann in mein Zimmer und lese oder treffe mich mit einer Freundin aus meiner Klasse. Sie ist die Einzige, die ich noch sehe. Es ist schon cool, dass man jetzt ausschlafen kann und mehr Zeit hat, zum Beispiel, um mal zusammen einen Ausflug zu machen. Vor kurzem waren meine Eltern und ich in einem Wald und haben dort Froschlaich im See gefunden, und einmal waren wir in der Eifel, weil da nicht so viel los ist. Für die Zeit nach Corona hoffe ich, dass wir die Klassenfahrt nachholen können — zusammen mit allen Kindern.