Expressiv und aktuell: Jella Haase, Welket Bungué

Berlin Alexanderplatz

Burhan Qurbani aktuali­siert über­zeugend Döblins Jahr­hundert­roman

Das ist ein Ton im deutschen Film, wie man ihn seit vielen Jahren nicht gehört und gesehen hat: episch, mit langem Atem und Geduld, zugleich mit großer, ausdauernder Wucht. Ein Ton, der sich nicht heranschmeißt an die Zuschauer, der aber auch keine Angst vor ihnen hat, der sie nicht belehren will. Ein Ton, der über sich hinausweist, mythisch, aber realistisch, und jedenfalls nie romantisierend verkitscht.

Es ist der expressionistische Ton von Alfred Döblin und seinem Jahr­hundert­roman »Berlin Alexanderplatz«. Aber es ist auch der Ton von Burhan Qurbani. Qurbani (»Wir sind jung, wir sind stark«) hat Döblins Vorlage in die Gegenwart verpflanzt, aktualisiert, auch poppig gemacht, ohne ihr aber etwas von ihrer Kraft zu nehmen, ihrem Fremdartigen. Er modernisiert Döblin, aber er beraubt ihn nie seines eigenwilligen unver­wechsel­baren Stils.

Der hat oft die Stimme von Jella Haase in der Rolle von Mieze: »Da steht mein Franz und fragt sich: ›Was tun? Soll ich gehen, soll ich bleiben?‹ Als wenn ihn einer in’nen Teig geschmissen hätte und nu’ kriegt er das Zeug nicht los. Er möchte fort, aber es geht nicht. Franz, man hat dich reingelegt.«

Qurbani hat Mieze zur Erzählerin gemacht, die große Liebe von Franz Biberkopf, die von sich selber sagt, sie sei nicht aus Zucker, sie sei aus Marmor. Dieser Einfall ist besonders gut. Haase ist in der doppelten Funktion als Erzählerin und Objekt der Begierde der Gravitationspunkt des Films. Zusammen mit Albrecht Schuch als Reinhold, dem Teufel und Gegen­spieler im Leben von Franz. Qurbanis Reinhold ist ein Unhold, ein Verführer mit dem Charme des Irrsinns.

Franz heißt hier eigentlich Francis, ein Afrikaner, der sich illegal auf Bau­stellen verdingt, und dann von Reinhold für Drogendeals und Schlimmeres angeheuert wird, und in das Dunkel der Großstadt eintaucht. Gespielt wird er von Welket Bungué, ein weiterer guter Einfall. Der Held ist ein Geflüchteter — so macht Qurbani aus »Berlin Alexanderplatz« eine Geschichte des Kampfes um Anerkennung. Er zeigt Menschen eines bunten Deutschlands, die nicht länger gegen die Wand prallen, sondern durch sie hindurchbrechen.

Hervorzuheben sind Qurbanis Mitarbeiter: die Filmmusikerin Dascha Dauenhauer mit ihrer ersten Arbeit, der Kameramann Yoshi Heimrath, der Editor Phillipp Thomas, der adäquat Döblins literarische Montagetechnik auf die Leinwand überträgt. Spätestens jetzt beweist Qurbani, dass er einer der wichtigsten Filmemacher des aktuellen deutschen Gegenwartskinos ist.

Berlin Alexanderplatz, D 2020, R: Burhan Qurbani
D: Welket Bungué, Jella Haase, Albrecht Schuch, 183 Min.

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