Zwei Bässe tanken Super: Joscha Oetz (links) und Rainer Linke vor der Eigelsteintorburg

Das Tor zum Jazz

Die Offene Jazz Haus Schule hat aus der Improvisation eine Tugend gemacht

Rainer Linke und Joscha Oetz warten vor der Eigelsteintorburg. Hier ist seit 1994 die Offene Jazz Haus Schule (OJHS) untergebracht. Interviews führt man in diesen Tagen unter freiem Himmel. Wir schlendern rüber zum Ebert­platz — ein idealer Ort auch im übertragenen Sinn: Denn das Programm der OJHS steht für soziokulturelle Projekte, Bildungsarbeit gerade auch mit migrantischen Kids und das alles verknüpft mit hohen ästhetischen Ansprüchen. Unter den derzeit 200 Dozentinnen und Dozenten finden sich viele herausragende Akteure der Kölner Jazz-Szene.

Darunter auch der Bassist Joscha Oetz, dessen »Urbanic Cycles« (2017) eine der stärksten Kölner Jazz-Veröffentlichungen der letzten Jahre gewesen ist. Oetz übernimmt dieses Jahr die Leitung der Schule von Rainer Linke — auch er Bassist. Linke ist seit Gründung der Schule dabei, seit 1986 in verantwortlicher Position.

Linke kann auf ein beeindruckendes Lebenswerk zurückblicken: Die OJHS ist bundesweit nicht einmalig, aber sicher die größte und bedeutendste »Jazz-Schule«. Derzeit kann sie über ein Budget von 1,8 Millionen Euro verfügen: Zwei Drittel dazu tragen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kurse bei, der Rest speist sich aus öffentlicher und städtischer Förderung. Zudem vermietet die OJHS den Festsaal in der Torburg.

Am 19. Juni feiert die OJHS ihren 40. Geburtstag. Linke, der weiter im Vorstand aktiv sein wird, bekräftigt: »Wir wollen die musikalische Bildung auf allen Ebenen voranbringen, das ist unser Anspruch.« Wir sind am Ebertplatz angekommen. Das Aufnahmegerät läuft, los geht’s.


Die Offene Jazz Haus Schule war zunächst Teil der Initiative Kölner Jazzhaus, einer selbstverwalteten Musikerinitiative. In den 60er und 70er Jahren hat es viele Musikerkollektive gegeben, aber dass der Bildungs- und Vermittlungs­gedanke so stark bei euch verankert gewesen ist — das ist eine Ausnahme. Wie ist es gekommen?

Rainer Linke: Es ist erst mal auch eine persönliche Geschichte: Ich habe Schulmusik studiert, Vermittlung war mir wichtig, aber nicht als Lehrer an einer Schule, das war mir schon damals klar. Bildung hat in meiner Biographie eine große Rolle gespielt: Ich bin in einem »Geschäfts­haushalt« ohne Bücher aufgewachsen. Aber meiner Familie war Bildung wichtig und sie schickten mich aufs Gymnasium und in die Musikschule, für mich bedeuteten diese Institutionen Emanzipation. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass ich später, als ich selber schon angefangen habe zu unterrichten, mit meinen Interessen in diesen, hierarchisch strukturierten Institutionen, — konkret an der Rheinischen Musikschule — aufgelaufen bin. Dann war ich aber auch politisch aktiv, habe mich im AStA engagiert, mich für progressive Bildungsideen interessiert. Daraus hat sich mein Weg ergeben: Wir wollten damals ein Projekt gründen, dass Jazz und Impro­vi­sierte Musik, also kreatives, selbstbestimmtes Gestalten von Musik nach vorne bringt und unterstützt. So wie ich es in meinen Bands erfahren habe. Ich weiß noch, es gab damals, Ende der 70er Jahre, eine Umfrage an den Musikschulen in NRW, da kam heraus, dass nur ein Prozent des Unterrichts für Jazz verwendet wird. Ein Prozent! An der Rheinischen Musikschule in Köln waren es damals immerhin drei Prozent.

Joscha, du bist vor allem bekannt für deine eigenen Projekte. Wie siehst du das Verhältnis zwischen deiner pädagogischen und musikalischen Tätigkeit?

Joscha Oetz: Eine der schönen Sachen an der Jazz Haus Schule ist, dass Grenzen hinterfragt werden — zwischen Begrifflichkeiten, Tätigkeiten, Haltungen. Ich habe das häufig erlebt, dass das unter Musikern, vielleicht unter Künstlern ganz allgemein, ein Gegensatzpaar ist: Pädagoge und Musiker-Sein. An der Jazz Haus Schule ist diese Trennung ad acta gelegt, das war schon vor meiner Zeit so, und ich habe das als Schüler und dann Dozent sehr genossen. Mir ist das bis heute wichtig. Ich bin hier in die Lehrerrolle regelrecht hineingewachsen — ohne ›klassische‹ Ausbildung. Ich trete vor die jungen Leute und spielen ihnen etwas vor — im doppelten Sinne. Die Lehrerrolle habe ich immer spielerisch verstanden, offen, Lehrer-Sein ist im besten Fall ein kreativer Ausdruck. Ich inszeniere etwas, zum Beispiel eine Band. Mit den Kids, mit denen ich arbeite, will ich im besten Fall gemeinsam eine Band aufbauen, denen trete ich nicht frontal gegenüber. Umgekehrt hat mit dieses Verständnis von der Lehrerrolle dabei geholfen, Musik als soziale Aktivität zu entdecken.

Was meinst Du damit genau?

Oetz: Gehen wir von der grundlegendsten Frage aus: Was ist Musik? Ganz abstrakt gesagt: organisierter Klang. Das Organisieren von etwas, ist immer etwas Gesellschaftliches. Musik beginnt nicht damit, dass die Band auf der Bühne die ersten Töne spielt. Alle Voraussetzungen gehören zum Musik­machen mit: In was für einem Saal spielen wir? Wie ist die Atmosphäre? Welche Leute haben am Zustandekommen eines Konzertes mitgewirkt — echniker, Bühnenarbeiter, Leute in der Verwaltung? Musik als ein sozialer Organismus ist viel umfassender als eine Partitur oder ein Ensemble. Das habe ich an der Jazz Haus Schule gelernt, und diese Auffassung werde ich hier weiter reinbringen. Mir fällt Elvin Jones ein, der Schlagzeuger von Coltrane. Der hatte mal gesagt: Wenn ich spiele, dann verbinde ich — eine Idee mit der nächsten und mit einer anderen, die simultan erklingt. Damit kann ich mich identifizieren, als Künstler und Pädagoge. Es ist wichtig, dies parallel laufen zu lassen und den Künstler nicht gegen den Lehrer auszuspielen. Die Jazz Haus Schule ist ein idealer Ort dafür.

Wie richtet ihr euch inhaltlich aus? Was bestimmt die Kurse und Workshops?

Linke: Wir verstehen uns als Plattform, von Anfang an. Es gibt keinen Masterplan, es hat immer nur die Leute gegeben, die etwas mitteilen wollen, ihr Wissen und Können weitergeben wollen. Uns ist klar, dass wir in einer geschichtlichen Entwicklung stehen, dass diejenigen, die nach­wachsen, ihre eigenen Wege gehen, so wie wir als junge Jazzstudenten unsere gegangen sind. Die Haltung ›Das haben wir immer so gemacht‹ wäre Gift für uns. Wir waren immer offen für die Entwicklungen im sozio­kulturellen Bereich, darüber haben wir uns definiert. Ein ganz ein­schnei­den­des Erlebnis war Mitte der 90er Jahre die Auseinandersetzung mit migrantischer Jugendkultur: Das war HipHop! Ade Odukoya, Kutlu Yurtseven, DJ Lifeforce (Mike Hagen), Fatih Çevikkollu — die waren damals Dozenten. Adé hat mit afrodeutschen Jugendlichen aus Köln und Umgebung das Rap-Theaterstück ›Coloured Children‹ entwickelt, 1997 im Stadtgarten uraufgeführt. Das war aufregend. Da ging es ganz grundsätzlich um die Frage, was es heißt, ein Afrodeutscher zu sein: »Gib mir die Seife, die mich weiß wäscht!«.

Oetz: Bei späteren HipHop-Musicals war ich schon als Dozent dabei. Wenn du dich für HipHop interessierst, kommst du mit Kindern und Jugendlichen ganz anders in Kontakt. Ich bin von HipHop fasziniert — bis heute. Es gab 2002, 2003 eine Delle. Aber HipHop ist davon nicht kaputt gegangen. Wenn die Kids merken, dass ich alles aufschnappe, was mit HipHop zu tun hat, dann habe ich direkt eine gute Verbindung zu ihnen. Auch hier wieder: kein Gegensatz zwischen meiner Rolle als Lehrer und als Musiker.

Linke: Du hast dich ja auch mit Stefan Schönegg und Philip Zoubek getroffen. Die vermitteln bei uns freie Improvisation: das andere Ende vom Spektrum. Das mir aber genauso wichtig ist wie HipHop. Es geht als Schule darum, eine Vision davon zu haben, was kulturelle Bildung ist, wen sie erreicht — und wen eigentlich nicht? Du kannst diese Vision nicht entwickeln, wenn du dich nur im Mainstream bewegst. Wir hatten schon Improvisationskurse, wo die Leute irgendwann gesagt haben, okay, wir machen jetzt ohne Dozenten weiter. Aber warum nicht? Wir wollen Impulse setzen, und wenn die zu so radikalen Entscheidungen führen, ist das erfreulich. Mit der Impakt-Gruppe oder auch mit Klaeng haben sich in Köln neue Szenen von Improvisatoren gebildet, die sich schnell profiliert habent und für einen eigenständigen Sound stehen. Diese Haltungen wollen wir auch in der Schulpraxis widerspiegeln.

Improvisierte Musik zu unterrichten ist ja durchaus sensibel — wie unter­richtet man das Offene und radikal Unbestimmte?

Oetz: Ja, kniffelig. Wir haben mit den Impakt-Musikern lange gemeinsam überlegt, wie das am besten gelingen könnte und sind mit einem Workshop gestartet, einem Pilotprojekt. Wir haben die Impakt Leute dabei unterstützt, einen Förderungsantrag zu stellen, der wurde bewilligt, wir konnten den Workshop dann hochkarätig besetzen, viel hängt von den Musiker­persön­lich­keiten ab. Und es war ein Erfolg, daraus haben sich Gruppen gebildet, die unter unserem Dach bis heute weiterspielen! In Corona-Zeiten natürlich virtuell im Zoom. Aber was den Erfolg ausgemacht hat? Gute Frage. Es muss halt passen. Wir können die Infrastruktur dafür bieten — Räume oder Werbung —, alles andere muss sich von selbst entwickeln, das ist ja das Wesen von Improvisation.

Gibt es einen Legitimationsdruck? Ihr werdet gefördert — ihr müsst aber doch auch erklären, was an eurer Arbeit gesellschaftlich relevant ist.

Linke: Nein, wir empfinden keinen Legitimationsdruck, weil wir uns unsere Ziele selbst gesetzt haben und uns selbst die Frage stellen: Was legitimiert die Jazzhausschule? Ein wesentlicher Teil unserer Tätigkeit ist teilnehmer­finanziert, da zeigt sich ein Bedarf an musikalischer Bildung. Wir haben aber den Anspruch der Bildungsgerechtigkeit, wollen also auch die Leute oder Familien erreichen, die sich sonst nicht den Unterricht leisten können. Diesen Anspruch artikulieren wir gegenüber der Politik, deren Aufgabe es ist, für Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Und da werden wir gehört und zum Beispiel im Jugendhilfebereich gefördert, ganz aktuell mit zwei Personalstellen.

Was können wir für die Zukunft erwarten?

Oetz: Wir haben einen Antrag auf Anerkennung als Bildungswerk gestellt, dann könnte man für bestimmte Kurse bei uns Bildungsurlaub beantragen. Wir werden verstärkt unsere Dokumentationen, die wir häufig nur intern zusammengestellt haben, veröffentlichen, ›Jazzhaus Einblicke‹, da wird sich ein sehr großer Fundus an Projekten und Ideen finden. Wir planen eine Summerschool. Viele Workshops dauern ein Wochenende, aber für eine Summerschool hätten wir eine ganze Woche Zeit. Im Jugend- und Kinder­bereich veranstalten wir bereits ähnliches, aber die Summerschool würde sich an Pädagogen und Musiker richten, wir würden da stärker auf die Meta-Ebene zielen: Vorträge, Reflektionen über Musik.

Infos: jazzhausschule.de

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