Dehnübungen für lange Fahrten: Die Lotenheim-Crew

Alternativen zum DJ-Jetset

Raulito Wolf denkt darüber nach, wie das Tour-Business ökologischer gestaltet werden kann

Auch wenn momentan alles stillsteht und DJs gezwungener Maßen auf dem Boden bleiben — die moderne Musikszene lebt auch in Zukunft wieder davon, dass täglich tausende Plattenkoffer über die Rollfelder von Amsterdam bis Peking gezogen werden. Wem das sein grünes Gewissen verhagelt, der fühlt sich oft alternativlos. Denn die Billigflieger sind nicht nur unschlagbar günstig, sondern machen das Reisen quer durch die Welt zum Wochenend-Trip.

Dass es auch anders geht, zeigt das Kunst- und Musikkollektiv Lotenheim, deren Mitglieder zum Goulash Disko Festival in Kroatien statt im Flieger mit dem Bus angereist sind. Mit an Bord war auch DJ und Festivalmacher Raulito Wolf. Wir haben nachgefragt: »Wir haben uns einen Bus gemietet und mit verschiedenen Künstler:innen einen Roadtrip daraus gemacht. Ich habe auf der Tour noch Gigs in München und Wien organisiert, damit waren die Mehrkosten für die Fahrt gedeckt.«

Auch Raulito war sich seines ökologischen Fußabdruckes bewusst, seit er im vergangen Jahr für Gigs nach Spanien oder Norwegen flog. »Der Preis ist eben um ein vielfaches höher, wenn man nachhaltiger reist als zu fliegen, also etwa mit dem Zug fährt«. Als sich im Frühjahr eine Möglichkeit für zwei Gigs in Oslo auftat, wandte sich Raulito zum ersten Mal an die Socialmedia-Community, um gezielt weitere Auftritte auf der Route zu bekommen und so die Fahrtkosten wieder einspielen zu können. »Die Male davor hatte ich das selbst organisiert, aber diesmal war es sehr kurzfristig, deshalb der Aufruf über social media. Das Feedback war krass! Die ganze Szene hat da scheinbar ein schlechtes Gewissen, das einem im Nacken sitzt ... weshalb alle helfen, wenn einer vorlegt. Sehr viele Leute haben Kontakte geschickt und bei dieser Tour wären es drei zusätzliche Gigs gewesen — leider hat Dänemark dann aufgrund von Corona die Grenzen zugemacht.«

Auch wenn solche Fälle noch die Ausnahme sind, sieht Raulito sein Vorgehen doch als mögliche Blaupause. Solange man kein Superstar-DJ sei, der heute in New York, morgen in Sidney und am Tag darauf in London spielen muss, sei diese Art seine Gigs miteinander zu verknüpfen durchaus möglich — und sogar ökonomisch: »weil man mehr Gigs spielt und im Endeffekt auch mehr Geld verdient. Und es ist eine viel schönere Art und Weise, weil man die Leute besser kennenlernt.« Für ihn und die Lotenheim-Crew ist es auf jeden Fall das Modell, das tragfähig ist.

»Ich fände es schön, wenn da in Zukunft ein Bewusstsein entstehen könnte und dass auch die mittelgroßen Künstler darauf achten. Man muss sich eben selbst darum kümmern, die Kontakte knüpfen und vielleicht ein Stückchen mehr Entschleunigung leben.«