Angst, Trauer, Unsicherheit — und Hoffnung

Vom Dub-Techno zur Klangethnologie: Die Musik von Scott Monteith ist ein Wegweiser durch die Krise

Unter seinem Alias Deadbeat hat der seit 13 Jahren in Berlin lebende, ursprünglich aus Montreal stammende Produzent Scott Monteith maßgeblich an der Erfolgsgeschichte von Dub-Techno in den letzten zwanzig Jahren mitgewirkt. Wobei seine Veröffentlichungen auf Labels wie ~scape, Wagon Repair, Cynosure und Echochord schon immer für eine offene, ja grenzenlose Soundsprache standen und neben den offensichtlichen Einflüssen aus jamaikanischem Dub und Reggae stark von Musik aus dem Nahen Osten, Afrika und Südamerika geprägt wurden. Dieser Tage er­schei­­nen gleich zwei neue Alben von Mon­teith, eine Zusammenarbeit mit Paul St Hilaire aka Tikiman, den man durch seine Rhythm & Sound- und Burial-Veröffentlichungen kennt, und eine weitere mit Martin Bakero.

Scott, auf dem Pariser Label Another Moon ist gerade »4 Quarters of Love and Modern Lash« erschienen, deine jüngste Zusammenarbeit mit Paul St Hilaire. Die Stücke des Albums sind »Check What Time It Is«, »Mind Control«, »War Games« und »Yesterday Dreams« betitelt, die Texte fallen politisch düster aus. Da war schon immer eine politische Konnotation in den Texten von Tikiman, aber eben sehr poetisch angelegt. Insofern war ich sehr geschockt, als er mir seine Gesangsspuren schickte, da er diesmal so direkte, revolutionär-politische Texte geschrieben hat. Unsere Zusammenarbeit ist sehr spezieller Natur. Oft ist es so, dass ich an Musik arbeite und plötzlich denke, ich müsste ihm das eigentlich zuschicken — und just in dem Moment schreibt er mir. Er hat eine schamanische Seite, er spürt, wenn die Dinge zusammenkommen. Es sagt viel über ihn aus, wie punktgenau er empfunden hat, was nun passiert.

Wie nimmst du selbst das Album jetzt wahr? Beide Alben — auch das mit Martin Bakero — eint, dass sie aus extrem langen Studio-Sessions heraus entstanden sind. In der Musik steckt die ganze Spannbreite an Emotionen, die ich aktuell fühle: Angst, Unsicherheit, Trauer und Traurigkeit, aber auch den Wunsch durch all den Krach der Welt hindurch zu kommen, um auf der anderen Seite Hoffnung zu finden. Ich bin seit meinen frühen Teenagertagen politisch aktiv — und aktuell fühle ich wieder stark die Verpflichtung, mich sozial zu engagieren. Ich hoffe, dass beide Alben den Leuten zum einen einen Ort zum Wohlfühlen bieten, aber auch einen Stimulus zum Aktivwerden in sich tragen. Denn wenn uns die aktuellen Ereignisse in den USA eines in Erinnerung rufen: Das Schweigen von Weißen ist ein Akt der Gewalt! Es ist an der Zeit für alle, sich zu engagieren und mitzuhelfen, dass nach der Krise hoffentlich mehr Chancengleichheit in unserer Gesellschaft existiert. Das mag sehr utopisch klingen, aber ich glaube, es ist machbar.

Musik ist Kommunikation — und zwar im besten Fall weltweite und ohne Grenzen, sowohl klanglich als auch in ihrer Eigenschaft als soziale Praxis. Wenn ich mir die beiden Alben anhöre, dann höre ich dichte Soundtexturen, Einflüsse aus Jamaika und Chile, aus dem Nahen Osten und Afrika. Das ist ein wich­tiger erster Dialogschritt. Absolut. Ein lokales Beispiel: Ich lebe in Neukölln. Letztes Sommer wachte ich auf und hörte einen immensen Lärm. Es stellt sich heraus, unsere kurdischen Nachbarn feierten die Hochzeit ihrer Tochter, das Hochzeitspaar wurde mit einer unglaublichen Performance mit Drums und Bläsern zur Trauung geführt. Sie luden uns sofort ein, und ich nutze die Chance für Aufnahmen. Es war ein Tag, der mir die Macht von Musik in Erinnerung gerufen hat. Wir hatten zuvor nie mehr als ein »Hallo« im Treppenhaus miteinander geteilt, aber seitdem tausche ich mich immer mit seiner Tochter und ihm aus. Nur weil mich an diesem Tag die Bläser- und Schlagzeug-Sounds herausgelockt haben.

Du bist seit fast zwanzig jahren als Künstler aktiv. Wie wirken sich die politischen, sozialen und nicht zuletzt ökonomischen Veränderungen in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl strukturell als auch inhaltlich auf deine alltäglichen Arbeit aus? Ich spüre einen gewissen Nihilismus in mir aufsteigen. Und wenn ich den Social-Media-Streams da draußen zuhören, dann hilft mir das nicht gerade. In unserer Elektronischen-Musik-Community hat zuletzt eine wahre Kapitalismus-Rallye stattgefunden: Die Gagen sind explodiert, manche DJs machen 20.000 Euro in einer Nacht, andere mit Ach und Krach 500. Die Absurditäten zeigen sich aktuell, wo jene besonders laut jammern, die eigentlich genug Geld gespart haben sollten. Die Szene muss sich wieder auf lokale Talente konzentrieren — und die internationalen Bookings müssen von uns Künstlern wieder als Pri­vileg empfunden werden, wir müssen wertschätzten, dass etwa ein Kid in Osaka uns einlädt unsere Musik zu spielen. Aber ich bin mir sicher, dass die MusikerInnen, die nach dieser Corona-Shitshow noch dabei sind, es wegen der Musik an sich sind und nicht wegen des Geldes.

Wie geht es dir aktuell unter Corona Bedingungen? Es ist nicht leicht. Ich musste irgendwann beschließen, dass ich im Studio nichts mehr trinken darf. Gerade jetzt ohne Auftritte und andere terminliche Verbindlichkeiten ist es eine sehr risikoreiche Zeit für Menschen mit Neigung zum Substanzmissbrauch. Es fühlt sich nicht gut an, sich zwei Tage am Stück alleine im Studio abzuschießen, auf Tour ist das etwas anderes als im normalen Alltag zu Hause. Ich hatte sehr dunkle Momente. Ich kann mich glücklich schätzen, meine Familie zu haben, die immer für mich da ist und mir positiv zuspricht.

Parallel zu »4 Quarters of Love and Modern Lash« erscheint auf deinem eigenen Label BLKRTZ mit »Sueños de la Joya« eine Koopertaion mit dem Poeten Martin Bakero. Ein wunderbares Zeit und Raum auflösendes Ambient-Album, das südamerikanische Referenzräume eröf­fnet. Was hat es mit den titelstiftenden Juwelenträumen auf sich? Vor zwei Jahren bin ich mit meiner Familie mit einem alten VW-Wagen durch den Norden Chiles gefahren. Ich habe hinten aus dem Auto heraus Videos gedreht, die wir mit Videos von den sozialen Protesten in Valparaíso, die Martin gedreht hat, für die audiovisuelle Präsentation des Albums zusammenschneiden werden. Das Album war eigentlich als Hörspiel für das Radio geplant, aber das ging sich dann nicht aus. Wir haben das Narrativ eingekocht auf die vier Stücke, mit denen ich sehr glücklich bin, da sie einen Rückzugsort zur Reflektion über die aktuellen Ereignisse in der Welt bieten.

Für das Stück »Mapa Audible« verarbeitet ihr das Gedicht »Pequeño mapa audible de Chile« der chilenischen Poetin Gabriela Mistral, vorgetragen wird es von Martin Bakero. Was hat es mit diesem Gedicht auf sich? Sie ist eine der wichtigsten NationalpoetInnen Chiles. Ihr Gedicht ist die Coda für das Stück. Mit dem Album reflektierten wir über unsere Erfahrungen während der gemeinsamen Chilereise — die brutalen sozialen Probleme gleichermaßen wie die wunderbare Natur. All das findet sich im Werk von Mistral.

Es ist nicht das erste Mal, dass du auf einem Album Musik und Gedichte in Beziehung setzst. Für das 2016 erschiene Album »Qawwali Quatsch« — das einzige in deiner Diskographie, das du unter deinem bürgerlichen Namen veröffentlicht hast — hast du dich klanglich mit Ghazal auseinandergesetzt, einer lyrischen Gedichtform, die im 13 und 14. Jahrhundert auf der arabischen Halb­insel sehr populär war. Wie kam es dazu? Das Album wurde durch eine Performance von Asif Ali Khan mit seiner Party — Qawwali Orchester werden Partys genannt — beim Wassermusik-Festival in Berlin inspiriert. Das Konzerte dauerte drei Stunden und war mit Abstand das Beste, was ich je live gesehen habe. Ich begann darauf, mich tief in die Geschichte der Qawwali Musik einzuarbeiten, wofür ich FreundInnen in Indien kontaktierte, die mich mit einem Archivar in Pakistan in Kontakt brachten, der ein riesiges Onlinearchiv unterhält — 30 bis 40 Stunden an Material, von den 1930er Jahren bis heute.

Was braucht ein Sound, damit er dein Interesse weckt? Es ist für mich immens wichtig, einen perfekten Loop zu finden, an einem Punkt zu kommen, wo ich einen Sound immer und immer wieder hören kann. Da sind wir wieder beim ritualhaften Charakter von Musik. Stimmen sind mir auch wichtig — wobei es nicht leicht ist, sie in die Musik einzubringen. Das gelingt nicht vielen Produzenten gut. Ich habe das mit dem »Wax Poetic« Album vor zwei Jahren intensiv versucht, für das mir Freunde aus der ganzen Welt hoffnungsvolle Nachrichten zukommen ließen. Aber das waren eher gesprochene Sachen. Ein Grund, warum ich mit Tikiman so gerne zusammenarbeite: Er kann bedeutende, lange Statements mit seiner Stimme abgeben, die sich natürlich in die Musik einfügen.

Nach dem Ende von ~scape hast du dich dazu entschlossen, mit BLKRTZ dein eigenes Label zu gründen. Funktioniert das so gut, dass du davon leben kannst, deinen eigenen Katalog nun digital zu verwalten? Es ist nicht so, dass ich davon alleine leben kann, aber der Verkauf funktioniert vor allem über Bandcamp sehr gut. Sie arbeiten Künstler- und Label-orientiert, nicht so wie andere Plattformen wie Soundcloud oder Spotify, die zuletzt ja Spenden-Buttons eingerichtet haben — was sich wie Betteln anfühlt. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viel Geld dieses Firmen verdienen, ist das doch einfach nur ekelhaft, wie sie sich verhalten. Und sie sind nicht die einzigen: Twitch und all die anderen Streamanbieter machen das auch, oder noch schlimmer, sie machen gar nichts und sagen nur »Gib uns deine Arbeit und fuck off«. Und on top bezahlen sie noch nicht einmal die Rechteverwerter richtig.

Info: Scott Monteith ist auf Bandcamp zu finden. blkrtz.bandcamp.com

Zusammen mit dem Fotografen ­Jonathan Forsythe hat Thomas Venker den Bild-Text-Band »Talking to Ame­ricans« herausgegeben: ein journalis­tischer Roadtrip in die USA nach der Trump-Wahl. 272 Seiten, 39 Euro,
Ventil Verlag 2020.