Techno is Black

Die Geschichte elektronischer Musik und die von House und Techno im Besonderen ist eine der Befreiungsversuche

Weltweit erhitzen sich die Gemüter an einer neu entfachten Debatte um noch immer grassierenden, offensichtlichen wie strukturellen Rassismus und weiße Privilegien. Es sind vor allem Künstler aller Disziplinen, die ihre Stellung dafür nutzen, auf Ungerechtigkeiten innerhalb ihrer Branche aufmerksam: Sind es doch gerade die afro-amerikanischen Subkulturen und deren Streben nach Freiheit, die die Beats hervorbrachten, zu denen Millionen tanzen, oft ohne Bezug zum Ursprung des Ganzen.

Der gebündelte Protest der internationalen Musikindustrie zeigte sich Anfang Juni unter dem hashtag #theshowmustbepaused (als Abgrenzung zur im Showbiz geltenden Maxime »the show must go on«). Gestartet worden war der Aufruf von zwei Plattenbossen aus Kalifornien, Brianna Agyemang und Jamila Thomas, Senior Directors des Musiklabels Atlantic Records, und selbst Frauen schwarzer Hautfarbe. In ihrem Schreiben an die Welt erklären sie, dass die milliardenschwere Musikindustrie zwar seit jeher im großen Stil von schwarzer Kunst profitiert hat, dass Rassismus und ungerechte Behandlung allerdings immer noch an der Tagesordnung sind. Man wolle die Industrie als Ganze dafür zur Rechenschaft ziehen, sich für schwarzen Communitys einzusetzen, deren andauernder Leidensweg für so viel unverhältnismäßigen Reichtum in der Branche gesorgt habe. Der Solidaritätsaktion schlossen sich unter anderem die Major Labels Warner, Sony und Universal an und kamen dem Aufruf zu einem sogenannten Blackout Tuesday am 2. Juni nach, der die Arbeitswoche unterbrechen und Zeit zum Reflektieren der aktuellen Proteste geben sollte.

Das Szene-führende Online-Portal Resident Advisor ließ ebenfalls ein Statement veröffentlichen. Man habe sich in der Vergangenheit nicht ausdrücklich genug dafür eingesetzt, die Geschichte elektronischer Tanzmusik als eine von schwarzen und queeren Amerikanern geschriebene darzustellen. Neben finanziellem Engagement werde man besonders inhaltlich ab sofort eindringlicher auf die schwarzen Wurzeln der Dance Music hinweisen und mehr dafür tun, neue schwarze Künstler zu featuren.

Bandcamp hatte bereits im April einen No-Fees-Friday zur Unterstüzung von Corona-gebeutelten Musikern eingeführt. An bestimmten Freitagen im Monat gehen seitdem alle Umsätze aus Verkäufen der Musikverkaufsplattform ohne Abzüge direkt an die Künstler. Nun haben sich als Reaktion auf die aktuellen Geschehnisse hunderte der dort gelisteten Labels und Produzenten selbst dazu verpflichtet, wiederum alle ihre dort gemachten Gewinne an solche Organisationen weiterzugeben, die sich dem Kampf gegen Rassismus verschrieben haben. Die komplette Liste, wer für wen spendet, kann auf bandcamp.com eingesehen werden.

Tatsächlich ist elektronische Tanzmusik und die Kultur um sie herum (Festivals, Clubs, etc.) heutzutage kaum vorstellbar ohne die Vorreiterrolle, welche afro- und latein-amerikanische, aber besonders auch queere Minderheiten in ihrer Entwicklungsgeschichte spielten. Egal ob in den Diskotheken und Bars New Yorks in den 70er und 80er Jahren oder dem die House-Musik hervorbringenden Warehouse in Chicago — überall waren es die Zufluchtsorte für nicht-weiße, nicht-konforme Randgruppen, in denen eine von Inklusivität und akzeptierten Ausschweifungen geprägte Kultur der elektronischen Tanzmusik heranwuchs. Viele der damaligen DJ-Pioniere waren entweder schwul, schwarz oder beides — wie etwa der »Godfather of House« Frankie Knuckles. In Zeiten, als Verfolgung und Misshandlung dieser Gruppen noch an der Tagesordnung waren, boten diese Clubs und Diskotheken einen besonderen Raum, in dem sich viele zum ersten Mal gleichberechtigt und in ihrem Körper akzeptiert fühlen durften. Selbst die architektonischen Gegebenheiten dieser Räume — ausrangierte Lagerhäuser, geheime Privat-Lofts oder versteckte Kellerräume am Stadtrand — spiegeln noch die gesellschaftliche Außenseiterstellung der in ihnen Feiernden wider.

Wenn sich heute eine lukrative EDM-Industrie vornehmlich an die weißen Kids reicher Eltern wendet, um diesen teure Tickets zu Megakonzerten von Skrillex und Co. zu verkaufen, dann fußt auch dieser kommerzielle Erfolg auf den Schritten, die etwa Larry Levan, Knuckles oder die vielen Generationen von Detroiter Techno-Produzenten seit den 80er Jahren gegangen sind. Die Techno-Militia-Ästhetik von Underground Resistance zum Beispiel war nichts anderes als die afro-futuristische Reaktion auf eine gescheiterte, post-industrielle Umwelt, die ihnen keinen Ausweg bot.

Sich den historischen Kontext des Ursprungs moderner Clubkultur vor Augen führend scheint der Kampf gegen das ungerechte System als inhärente Kernaussage von House und Techno offensichtlich. Dreißig Jahre später aber ist diese Message auf vornehmlich weißen Dancefloors Europas oft angesichts eines sich selbst legitimierenden Hedonismus-Manifests vergessen worden. Um so wichtiger, sich an­gesichts der aktuellen Umstände diese Wurzeln wieder bewusst zu machen und sowohl den Ruf nach Gerechtigkeit zu unterstützen, was eben auch heißt, den mit elektronischer Musik erwirtschafteten Reichtum besser an ihre Schutzbefohlenen zu verteilen.

Neben den bereits erwähnten Bemühungen einiger großer Plattformen sind es vor allem die kleineren Künstler:innen, die sich auf kreative Art und weiße sowohl an Protesten als auch am Fundraising beteiligen. Boiler Room-Gründer und Rhythm Section-Labelchef Bradley Zero etwa hat eine Patreon-Seite aufgesetzt, über die ein Mentoring- und Workshop-Programm für weniger privilegierte Menschen realisiert werden soll; das schwarze-­queere DJ-Kollektiv NuZi aus Vancouver möchte mit einer neuen Initiative kostenlose Therapeu­ten und Anwälte für die lokale LGBTQIA+-Community ermöglichen; der wohl populärste virtuelle Online-Club dieser Tage »Club Quarantäne«, hat die dritte Edition seiner Marathon-Rave-Wochenenden mit internationalem Allstar-Line-up verschoben und stattdessen seine Website vorübergehend dem Blog Underground & Black zur Verfügung gestellt. Dort kuratiert DJ und Radio-Host Ash Lauryn aus Detroit vielfältigen, informativen Content zu schwarzer Kunst und besonders House und Techno als schwarzer Musik, kommentiert mit der Einleitung: »I chose these pieces for anyone who would like to dig a little deeper into the black experience from our perspec­tive — the good, the bad, and the uncomfortable.«

Detroit, Chicago, New York — Techno, House, Disco. Überall haben schwarze Wurzeln das hervorgebracht, was heute als globales Phänomen des weltweiten Siegeszugs der elektronischen Musik und Clubkultur gesehen werden kann. Doch die aktuellen Proteste machen auch eines klar: Die Ungerechtigkeit und Missstände, welche überhaupt dafür sorgten, dass diese Kunstformen entstanden, die Generationen beeinflussen sollte — die gleichen Probleme existieren immer noch. Das plötzlich aufgekommene Momentum, mit dem nun neu verhandelt wird, kann und muss genutzt werden, um die Musik­industrie wirksam in die Pflicht zum Schutze der Minderheiten zu nehmen, deren Überlebenskampf ihren gigantischen Erfolg überhaupt erst möglich gemacht.

Damit wir uns in 30 Jahren nicht wieder dabei erwischen, die von elektronischer Tanzmusik geschaffenen Freiräume zu genießen, während die Not derer, die sie (für uns) produzieren, immer noch wächst.