High Life und Selbstzerfleischung: Maurice Ronet (r.) lässt die Korken knallen

Der Champagner-Mörder

Ein vergessenes Meisterwerk von Claude Chabrol

Er wird von vielen verehrt, doch nur von sehr wenigen geliebt. Dabei finden in Claude Chabrols wahnwitzig weit verzweigten, vom dauernden Aufbruch wie besessenem Gesamtwerk wie in kaum einem anderen des Weltkinos Raffinement und Trash zusammen, Klassizismus und Avantgarde, Regel und Abweichung.

Ein Beispiel dafür ist sein Film »Der Champagner-Mörder« (1967), der dieser Tage in Deutschland als Blu-ray erschienen ist. Es ist ein Meisterwerk eigener Art. Reiche betrügen einander bis aufs Blut, Mord eingeschlossen. Tote Huren. Top Partys. High Life! Am Ende kommt die Selbstzerfleischung. In der rund zehn Minuten kürzeren, englischsprachigen Fassung »The Champagne Murders«, die 2019 in den USA bei Kino Lorber für den Heimkino-Markt erschienen, knallt das alles noch delirierender.

»Der Champagner-Mörder« ist ein übersehenes Werk im Schaffen des vor zehn Jahren verstorbenen Franzosen. Dabei sollte man davon ausgehen, dass es eine exponierte Stellung als Vorspiel zu jener Periode hat, die allgemein als Chabrols wichtigste gilt, jener außergewöhn­lichen Dekade von 1968 (»Zwei Freundinnen«) bis 1978 (»Violette Nozière«). Allerdings: Wo offizielle Kunstwerke wie »Das Biest muss sterben« (1969), »Der Schlachter« (1970) oder »Blutige Hochzeit« (1973) durch eine konzentrierte Klarheit und analytische Spröde erfreuen, besticht »Der Champagner-Mörder« mit einer poppig wüsten Inszenierung einer labyrinthischen und morbiden Geschichte, in deren Entwicklung sich die Vertrauenswürdigkeit des Erzählers in einer Intrigenstruktur verheddert, samt plötzlicher Wendung und Zweifel im Momoment der Auflösung. Um es auf den Genrepunkt zu bringen: »Der Champagner-Mörder« — und mehr noch dessen englische Version — ist die Chabrol-Variante eines Giallo, jener italienischen Thrillervariante, die exaltiertes Stilbewusstsein und erzählerische Kapriolen verbindet.

»Der Champagner-Mörder« spielt zum Teil in Hamburg. Der Film, den Chabrol davor gedreht hatte, »La ligne de démarcation« (1966), erzählt von einem geteilten Dorf zur Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs. Ein paar Jahre zuvor entstand »Das Auge des Bösen« (1962), der in und um München spielt und sich mit europäischen Formen des Selbstbetrugs beschäftigt. So kann »Der Champagner-Mörder« auch Anlass sein, einer anderen Spur durch Chabrols Schaffen zu folgen, in der Paranoia-Pulp (siehe auch »Fantomas« von 1980 und »Dr. M« von 1990) zu einem Nachdenken verführt über europäische Geschichtsbilder (»L’Œil de Vichy«, 1993) des 20. Jahrhunderts.

(Le scandale) F 1966, R: Claude Chabrol, D: Anthony Perkins, Maurice Ronet, Yvonne Fourneaux, 99 Min. DVD/Blu-ray im Handel