Berauschend: Animations-Psychedelik aus Ungarn

Sohn der weißen Stute

Marcell Jankovics psychedelisches Animationsmeisterwerk ist (fast) einzigartig

Man kann die Bemühungen des Kölner DVD-Labels und Filmverleihs Bildstörung um die Erkundung des mittel- und osteuropäischen Kinos vor allem der 60er bis 80er Jahre gar nicht genug loben: Hier wird gebuddelt, Trüffel um Trüffel ans Licht gebracht, und so versucht, eine kleine Gegengeschichte des Filmschaffens unter den verschiedenen staatskommunistischen Systemen zu schreiben. Bei Bildstörung ist die Welt jenseits des Eisernen Vorhangs auch ein Labor gestalterischer Möglichkeiten, wie man sie auf der Westseite so (noch) nicht erkundet hat. 

Was zu »Der Sohn der weißen Stute« (1981) führt, dem zweiten abendfüllenden Werk des ungarischen Animationsmeisters Marcell Jankovics: ein Tiermärchen in psychedelischen Formen und Farben nach der gleichnamigen Erzählung des germanophoben Nationalisten-Lyrikers Arany László.

Nach dem Tod seines Vaters macht sich Fanyüvő auf die Suche nach seinen Brüdern Kőmorzsoló und Vasgyúró, um mit ihnen Rache zu nehmen an jenem Drachengeschlecht, welches vor Urzeiten ihrer Familie die Herrschaft über die Welt entriss — die drei Pferde werden im Original übrigen alle von Cserhalmi György gesprochen, einem der größten lebenden Mimen ungarischer Sprache. Die Drachen wohnen in der Unterwelt, und als der Augenblick der Wahrheit gekommen ist, traut sich allein Fanyüvő ins tiefe Dunkle hinein — wo nicht nur die Drachen warten.

»Sohn der weißen Stute« ist visuell wahrscheinlich das Berauschendste, was man dieses Jahr hier im Kino zu sehen bekommen wird. Jankovics arbeitet wie schon in seinem Debüt »Johnny Corncob« (1973) mit einer eher flächigen Ästhetik: sehr kräftige Linien, strahlende Farbtöne, das alles verbunden mit einem Willen Konturen sowie Geschichte fließen zu lassen. Szenen gehen eher ineinander über als dass sie einander folgen. Man taumelt durch den Film, gibt sich seinen Sensationen hin, wird mitgerissen, in einen anderen Bewusstseinszustand versetzt. »Sohn der weißen Stute« ist ein Kunstspektakel als Massenunterhaltung.

Von Westen aus wirkt der Film völlig wahnsinnig und wie aus einem anderen Kunstkosmos. Vergleichen kann man ihn aber mit »Johnny Corncob«, und sei es auch nur, weil dieser das gleichnamige narrative Gedicht des Nationaldichters Petőfi Sándor versmaßgetreu in einer Ästhetik halb Alphonse Mucha halb Peter Max adaptiert. Um eine Idee davon zu geben, was das heißt: Man stelle sich vor, hier würde jemand Goethes »Faust« im Look und mit dem Groove von George Dunnings 68er Beatles-Trickfilm »Yellow Submarine« mit Ernst und Würde gestalten. Hoffentlich nimmt sich Bildstörung dem auch an.

(Fehérlófia) H 1981, R: Marcell Jankovics, 81 Min.