Vergangenheit und Zukunft auf einen Blick: Nina Hoss in »Pelikanblut«

Mehr Magie wagen

Katrin Gebbe über ihren neuen Film »Pelikanblut« und Kino, das konfrontiert und irritiert

 

Ist »Pelikanblut« für Sie Drama oder auch Horror-Film?

Es ist für mich immer ein Drama geblieben. Aber der Film bedient sich schon einiger Elemente des Horror-Genres, weil er letztendlich auch ein Albtraum-Szenario beschreibt. Es geht um die Ängste einer Mutter — es gibt einfach nichts Schlimmeres, als wenn man sich ein Kind über alles wünscht, und dann merkt, dass dieses Kind für einen selber gar keine Liebe hat, und letztendlich die ganze Familie zerstören könnte. Am Anfang der Arbeit stand die Recherche wahrer Fälle. Aber ich dachte, dieser Film durchaus auch poetische Elemente des Horror-Genres vertragen kann. Um auch eine gewisse Überhöhung zu schaffen. Denn ich wollte weg vom sozialen Realismus. Ich finde es aber wichtig, dass es nie so etwas gibt, wie das geradezu klischeehafte »böse Kind«. Weil ich tief daran glaube, dass ein Kind nicht zum Antagonisten werden darf. Ein Kind ist etwas, das schützenswert ist.

Sie suchen archaische Elemente...

Ja. »Pelikanblut« ist eigentlich ein Märchen, oder eine Parabel. Letztendlich habe ich einen Film gemacht, der von einer Mutter handelt, die mit einem Dilemma konfrontiert ist, worin das ganze Ideal der Mutterschaft und unsere Empathiefähigkeit als Menschen, und wie wir mit randständigen Per­sonen in unserer Gesellschaft umgehen, hinterfragt wird. Den Anspruch, vorzugeben, was der Zuschauer denken und empfinden soll, hatte ich aber nie. Eher das Gegenteil: Ich wollte den Zuschauer herausfordern und am Ende mit Fragen konfrontieren, irritieren.

Ihre Mutter-Figur ist buchstäblich eine Gezeichnete. Es gibt eine auffällige Narbe, wir ahnen, dass sie irgendetwas hinter sich hat. Sie adoptiert zwei Kinder aus Heimen, hat keinen Mann. Sie scheint auch nicht klar an Männern interessiert, zumindest lehnt sie den, der ihr Avancen macht, ab. Können Sie dazu mehr erzählen?

Der Pferdeflüsterer Monty Roberts hat selbst Traumatisierungen erlebt. Das genau hat ihm aber erst die Möglichkeit gegeben, auch Pferde mit anderem Blick zu betrachten, ihnen eine gewisse Empathie entgegen zu bringen: Wie kann ich diesem Tier helfen, sich wieder in ein System zu integrieren. Unsere Hauptfigur Wiebke hat auch einen ganz besonderen Blick, und benutzt den natürlich auch für ihr eigenes Kind. Sie kann dort weitermachen, wo andere aufhören würden, weil sie besonders empathiefähig ist, und besonders lange sucht. Gemeinsam mit Nina Hoss hatte ich das Gefühl, das Aussprechen einer Backstory macht alles viel zu deutlich, und dadurch auch viel zu klein. Darum wollten wir es nur andeuten, und haben uns dafür entschieden, dass sie eine Narbe hat, die zwar immer präsent ist, deren Ursprung aber ungeklärt bleibt. Auch sie macht eine Metamorphose durch, nicht nur ihre Tochter.

Sie erzählen auch von schwarzer Magie. Könnte das Irritationen auslösen?

Eigentlich beginnt der Film im Zwielicht mit einem magischen Bild: Nämlich Pferden auf einer Wiese, die alle liegen, und zu schlafen scheinen, bevor sie sich dann eines nach dem anderen erheben. Dieses Bild ist nicht realistisch, denn so etwas gibt es in Wirklichkeit kaum. Es ist es sehr bewusst gewählt. Kino darf poetisch sein. Um dieses Gefühl der Ambivalenz geht es mir: Wenn man einen Weg beschreitet und mit einem Problem konfrontiert ist, dann gibt es immer einen Funken Ungewissheit, das kann man nicht eins-zu-eins auflösen und nicht komplett fassen. Dieses Gefühl wollte ich den Zuschauern nahe bringen. Meine Figur holt sich Kraft bei etwas, das archaisch ist, und das ist schon ganz lange in unserer Kultur gibt. Das es in griechischen Damen gibt, das es in der Malerei immer gibt — die Bildende Kunst ist viel gemeiner und frecher als das deutsche Kino. Und auch im internationalen Kino sieht man ganz andere Bilder. Film soll so sein, wie Malerei sein darf. Er soll atmen. Er soll nicht eins-zu-eins eine Aussage formulieren. Das hat komischerweise in unserem Kino kaum einen Platz. Im Museum, in der Bildenden Kunst ist es geduldet. Im Kino aber versuchen wir immer wieder alles einzuordnen.

In der Bildenden Kunst geht alles, im Kino nichts — wünschen Sie sich ein Kino, das Bilder, Irrationales, Spirituelles auf die Leinwand bringt?

Ja, das fände ich toll! Das sind auch die Filme, die ich gerne sehe und suche: Kunst ist etwas, das zunächst einmal sinnlich erfahrbar ist. Im Museum erleben wir oft, dass ein Kunstwerk mit uns interagiert, dass es wirkt und nicht sofort auf den Begriff zu bringen ist. Film spricht natürlich wahnsinnig tief die Emotionalität eines Menschen an, und was man da alles machen und schöpfen kann, das finde ich, ist längst nicht ausgereizt. Jeder soll das auch auf seine Art und Weise tun, und es darf auch alles geben, aber ich selber vermisse schon eine Offenheit für solche Erfahrungen. Wenn es das mehr gäbe, dann würden auch die Zuschauer Filme anders ansehen, weil das Publikum dann mehr zulassen würde. Das ist ja auch eine Art von Erziehung, die man letztendlich durchläuft. Wenn man immer nur eine Art von Kunst sieht, oder von Film, oder nur immer eine bestimmte Musik hört, dann begreift man nicht die feinen Töne und Unterschiede, die es von der gleichen Sache auch noch geben könnte.

 

Filmkritik auf Seite 82

Katrin Gebbe

Die Drehbuchautorin und Filmregisseurin Katrin Gebbe wurde 1983 in Ibbenbüren geboren. Sie studierte Freie Kunst und Visuelle Kommunikation an der Academy of Visual Arts in Enschede, drehte dort erste Kurz- und Experimentalfilme  und absolvierte anschließend ein Aufbaustudium in der Fachrichtung Regie an der Hamburg Media School.

Katrin Gebbes Spielfilmdebüt »Tore tanzt« über die außergewöhnliche Figur eines jungen Jesus-Freaks lief 2013 in Cannes und erhielt im selben Jahr den Preis der Deutschen Filmkritik für das beste Debüt sowie den Bayerischen Filmpreis für die beste Nachwuchsregie.