Gönnerdämmerung

Im Spätsommer strömen die Leute auf die Straße, draußen merkt man kaum noch was von der Corona-Krise. Die Kölner Clubs sind dagegen immer noch im Lockdown, für sie sieht es langsam düster aus

Es ist 20.30 Uhr. Die ersten Gitarrentöne erklingen aus dem Konzertraum. Die Vorband lässt die Muskeln spielen, langsam trudeln noch die letzten Konzertgäste ein, die an diesem Abend auf der Grenze zwischen Deutz und Mülheim im Gebäude 9 lachen, tanzen, flirten wollen.

Es ist 0.30 Uhr. Nach dem Konzert blieben einige, neue Menschen kommen dazu: Tanzclub Ost ist angesagt, und das ist gerade für das Ex-Studierenden-Milieu immer eine Reise wert. Währenddessen füllt sich das Gewölbe am Westbahnhof. Zu Gast ist Call Super vom Londoner Label Houndstooth. Basslastig und verspult bewegen sich Heads von links nach rechts und nicken sich bei jedem neuen Track wissend zu.

Es ist 4.30 Uhr. In Mülheim stehen die Wackersten noch, im Gewölbe ist Peaktime und im Club Bahnhof Ehrenfeld springen seit Stunden trendbewusste Mitt-Zwanziger auf und ab, zu HipHop-Beats der Hush Hush Crew.

Es ist eine gefühlte Ewigkeit her — ­seit jenem ersten März-Wochenende. als in Köln das letzte Mal gefeiert wurde.

Spätestens 15. März schlossen alle Kölner Discos, Konzert- und Tanzclubs im Kölner Stadtgebiet. Der Grund ist offensichtlich: Die Corona-Pandemie nahm an Fahrt auf und selbst diejenigen, die wenige Tage vorher noch während des Straßenkarnevals rumbützten, dämmerte es langsam, dass ungezügelte Partynächte vorerst nicht stattfinden werden. Nur Pessimisten ahnten, wie lange wir auf (sub-)kulturelles Vergnügen verzichten werden müssen.

Schon drei Tage vorher be­schloss man am Bahnhof West nicht die Türen zu öffnen. Damit war das Gewölbe einer der ersten Läden, die diesen Schritt machten: »Seitdem warten wir darauf, dass es wieder losgeht«, so Shumi, Booker des Clubs. Wo man früher freitags und samstags Nächte durchfeierte und in den letzten Jahren auch das eigene Konzert-Format fein-ge­schlif­fen hat, bleiben nun Woche für Woche, Tag für Tag die eindrucksvollen und ikonischen weißen Trompeten-Lautsprechern ausgeschaltet. Ausnahme waren Abende an denen aus dem Tonnengewölbe gestreamt wurde: »Wir haben drei Übertragen über den Cologne Culture Stream gemacht und waren bei zwei United-We-Stream-Veranstaltungen mit einem einstündigen Slot beteiligt« — seit Juli gab es keine weiteren Live-Content mehr für das Gewölbe-Team, was auch an der Flut solcher Angebote liege.

Während der ersten Maßnahmen im März und April begannen deutschland- und weltweit Clubs und Netzwerke die Lücke, die Corona im kulturellen Angebot aufgerissen hat, mit digitalen Formaten zu begegnen. Was anfangs bisweilen angenommen wurde und über verschiedene Spendesysteme auch zu vergleichsweise geringen Einnahmen führte, hat mittlerweile die Bedeutung verloren. Einerseits liegt dies daran, dass Clubs, anders als an normalen Wochenenden, nicht nur mit der Konkurrenz aus der eigenen Stadt oder Region leben mussten, sondern sich dieses Konkurrenzverhältnis weltweit ausweitete. Andererseits war es einigen Läden zumindest im Sommer möglich, auch in der ana­logen Welt für ihre Gäste da zu sein. Im Gewölbe gibt es eine Outdoor-Bar: »Am ersten Abend lief leise Hintergrundmusik, es kam allerdings schnell das Ordnungsamt und hat das Ganze beendet. Wir würden uns hier einfach mehr Unterstützung und Flexibilität von Seiten der Stadt wünschen. Aber es freut uns natürlich sehr, dass wir unsere Gäste und Freunde zumindest wieder sehen können — wenn auch ohne musi­kalische Unter­malung«, so Shumi, der gleichzeitig klar stellt, dass es hier nicht um große Einnahmen gehe, sondern vornehmlich um Kundenbindung.

Ähnlich sieht es auch Mankel Brinkmann vom Club Bahnhof Ehrenfeld und dem YUCA: »Wir haben unseren Biergarten geöffnet, um einem Teil unserer Angestellten eine Möglichkeit zum Geld verdienen zu bieten. Davon abgesehen ist es unterm Strich ökonomisch nicht zielführend.«

Mit Brinkmann sowie Jan van Weegen (Gebäude 9), den beiden Vorsitzenden der Klubkomm, dem Verband Kölner Klubs und Veranstalter, treffen wir uns in eben jenem Biergarten. »Als Klubkomm sind wir für die Mitglieder als Ansprechpartner da — für ihre Sorgen und Nöten. Wir versuchen ihnen dabei zu helfen, auch die Situation einzuordnen, zu schauen, was man an Unterstützungsmaßnahmen noch ziehen kann. Als Verband sind wir auf anderer Ebene auch politisch tätig. Das heißt im Moment: Wir versuchen Geld zu akquirieren«, erklärt Brinkmann. Van Weegen verweist auf erste Erfolge: Über die KölnBusiness Wirtschaftsförderungs GmbH wurden im Mai insgesamt 545.000 Euro an 41 Kölner Livemusikspielstätten/

Clubs ausgezahlt. Der Wirtschaftsausschuss der Stadt Köln hat zur Fortführung des Nothilfefond weitere 600.000 Euro bewilligt. Brinkmann dazu: »Unsere Aufgabe ist, Werbung für unseren Kulturzweig zu machen und der Politik aufzuzeigen, wie dramatisch die Lage vielerorts ist. Gleichzeitig verweisen wir auf die Relevanz für die Gesellschaft. Uns wird mittlerweile Gehör geschenkt.« Dennoch stellt er klar, dass es seines Erachtens kein Club aus eigener Kraft und Mitteln durch­halten kann, bis es eine Impfung gibt. Und die Fortsetzung des Prä-Pandemie-Clubbetriebs ist vorher ausgeschlossen — das stehe jetzt schon fest.

»Auch wenn Politiker*innen einen Neustart antreiben wollen, können wir uns in dieser Lage nur defensiv zeigen. So sehr wir gerne wieder Konzerte und Partys ver­anstalten wollen, sind kreative Lö­sungen oder Kompromisse kaum mach­bar. Unsere Clubs können wir nicht mit einer Auslastung von 20 Prozent betreiben. Das treibt uns nur weiter in die Misere, weil wir unter diesen Umständen noch zusätzliche Kosten produzieren, die wir einfach nicht auffangen können«, so Brinkmann, während van Weegen klar stellt: »Wir müssen aufpassen, dass wir nicht auf einen Zielkonflikt zusteuern, wo die verschie­denen Bereiche der Branche an verschiedenen Punkten neu ansetzen. Wenn Stipendien für Küns­tler*innen fordern, dass diese ihre Kunst als Konzert aufführen sollen, aber die Bühnen nicht in der Lage sein werden, diese zu beheimaten, dann bringt das wenig.« Zumindest sei die Solidarität in der Branche gegeben: Konflikte mit Bookingagenturen oder Künstler*innen wegen Gagenforderungen oder ähnlichen Verpflichtungen aus der Zeit vor der Pandemie seien bisher ausgeblieben.

Ob es die beiden persönlich und die Clubs professionell

ärgere, dass derzeit immer wieder Berichte aufkämen von privaten und illegalen Raves — wie wir sie etwa in der letzten Ausgabe auch beleuchtet haben? »Persönlich haben wir vollstes Verständnis dafür, dass sich Menschen nach sozialen Begegnungen und Musik sehnen«, räumt Brinkmann ein, »obwohl wir natürlich auf die Solidarität innerhalb der Gesellschaft setzen, können wir nicht den erhobenen Zeigefinger ausfahren.« Für van Weegen ist dies in gewisser Weise sogar systemstützend: »Es wird, Stand jetzt, vermutlich weniger Orte geben, wo sich Menschen abseits des Mainstreams ausleben können. Es werden sich vermutlich auch viele junge Leute gut überlegen, ob sie sich der Kreativbranche zuwenden, oder lieber etwas Krisensicheres suchen werden. Die Schäden sind womöglich nachhaltig. Da sind uns Menschen, die weiterhin kulturell aktiv sein wollen, willkommen.«

Auch Shumi im Gewölbe möchte sich nicht der Depression hingeben. So ausweglos es gerade auch erscheinen mag, schaut er mit einem gewissen Optimismus in die Zukunft: »Wir glauben an Veränderung und eine hoffentlich reinigen­de Wirkung für uns. Es wird nach der Pandemie mehr auf die lokale Szene ankommen. Und das begrüßen wir sehr.« Könnte das für Köln sogar positive Entwicklungen anstoßen? »Wir hoffen zumindest, dass die Musik wieder mehr in den Vordergrund rückt und nicht mehr nur die bloßen Namen der Künstler im Fokus stehen. Und wir haben uns fest vorgenommen, genau das aktiv zu unterstützen.«

Das bedeutet im Rückschluss: Die Zeiten von Zwei-Stunden-Sets eines hochgehandelten DJs, der zwischen Amsterdam und Berlin kurz halt macht, sind erst einmal vorbei. (Ein-)Reisebeschränkungen auf der einen Seite, gerin­ge­re Einnahmen in Partynächten auf der anderen Seite schieben ­dieser — schon häufig kritisch betrachteten — Entwicklung der letzten Jahre einen Riegel vor. Befürch­tungen, dass dies zur Provinzialität führen könnte, sieht man nicht: »Wir denken, dass es den Klub als Konzept  auch nach Covid-19 noch so geben wird. Wir versuchen, die Situation als Chance zu betrachten und zu nutzen im Hinblick darauf, das Klubleben in Zukunft in allen Belangen diverser, sozialer, spannender und somit besser für uns alle zu gestalten.«

Die Ton Steine Scherben intonierten einst auf ihrem dritten Album »Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten« — was so mancher Konzert- und Party­gängerin, Ravern, Tänzer*innen und Freaks früher durchaus auch Schweißerlen der Angst auf die Stirn treiben konnte, könnte unter diesen Umständen zur Hymne der weltweiten, und im speziellen der Kölner, Clubszene werden.

Dass Durchhalteparolen ausrufen alleine nicht helfen wird, das wissen sowohl Shumi, als auch die Klubkomm-Vorstände, deswegen betont Brinkmann zuletzt: »So sehr wir uns als Clubs gerade solidarisch zeigen und erst wieder aufmachen, wenn alles überstanden ist, so sehr setzen wir auf die Solidarität der Gesellschaft.«