Tanz der DNA: S.E. Struck zeigt die Verstummten in uns, Foto: Christian Knieps, Sarah Keckeisen

Stimmen aus dem Off

Die Choreografin S.E. Struck lässt unsere epigenetische Vererbung sprechen

Wenige Minuten nach unserem Telefongespräch, ploppt eine Nachricht im Posteingang auf. Absender: S.E. Struck, die Kölner Choreografin. »In jedem Körper verbirgt sich eine Herde an Verstummten, Vertriebenen und Marginalisierten«, schreibt sie. Und: »Ihre Stimmen geistern in unserem Inneren herum.« Es ist der Ankündigungstext für Strucks neues Stück »Superversammlung/Superassemblage«, das im Oktober in der Tanzfaktur Premiere feiert. Ein dissoziatives Stück, denn es zerrt die verschütteten Persönlichkeitsfragmente einer Biografie auf die Bühne. Manche dieser Stimmen sind laut und unnachgiebig wie eine verpasste Chance.

Seit Jahren erforschen Wissenschaftler*innen die Frage, welchen Einfluss extreme Lebenserfahrungen auf die Genetik der Nachkommen hat. Machen sich traumatische Erfahrungen auch noch Generationen später in der DNA bemerkbar? Wie beeinflussen die biografischen Erlebnisse unserer Großeltern unser eigenes Verhalten? »Es geht darum, den Prägungen, die per DNA in uns wohnen, Gehör zu verschaffen, sie zu entdecken und irgendwie auch zu befreien«, erklärt S.E. Struck.

Sie lässt auf der Bühne drei Performer*innen antreten, ihre Dynamik wechselt ständig. Mal kauern sie verloren in einer Ecke, mal stehen sie als Denkmal gewordene Versteinerungen auf einem Museumssockel oder erobern das Mikrofon wie ein viel zu schnell gealterter Rockstar. Für bildgewaltige Inszenierungen ist die Choreografin bekannt: Gemeinsam mit der Künstler Alexandra Knieps dehnte sie im Einwohnermeldeamt die Zeit mit auf dem Boden irrwitzig langsam rollenden Körpern oder lud Besucher*innen zum Schlafen auf der Bühne der Münchener Kammerspiele ein.

Allein das für die »Superversammlung« geplante Feuerwerk musste ausfallen: Corona-bedingt wurde die Ausbildung zur Pyrotechnikerin, die S.E. Struck eigentlich machen wollte, verschoben. Während der Vorstellung komponiert der Klangkünstler Daniel Lauber, auch bekannt von Inszenierungen des Analogtheaters, die Musik live vor den Augen des Publikums: An seinem Mischpult werden die Stimmen zu Echoschleifen, die sich verdichten. Jedes Mal anders, aber immer da.