Fratzen des Faschmismus: Futur3 kommentiert ihre Selbstbekenntnisse, Foto: Martin Rottenkolber

Tonnenschwere Schatten

Futur3 zitiert Stimmen des deutschen Faschismus — und dekonstruiert sie

Auf den Gehsteig, wo die Gäste vereinzelt auf Einlass warten, tritt ein junger Mann, schwarze Lederjacke, Schiebermütze, und kramt sein Handy aus der Tasche. Er spricht energisch und gestikuliert: Streitet er sich? Einige sehen demonstrativ weg, andere beobachten ihn neugierig, dann müssen wir rein: Futur 3 bringt »1934 — Stimmen« ins NS-Dokumentationszentrum, ein Parcours durch ein Archiv an Briefen, die der polnisch-amerikanische Soziologen Theodore Abel im Sommer 1934 sammelte.

Unter der Schirmherrschaft der Columbia University New York und mit Unterstützung des NS-Regimes initiierte er ein Preisausschreiben. Er wollte mehr über die Gründe erfahren, die Hitler an die Macht brachten und schrieb 400 Mark Preisgeld aus, für den besten Aufsatz zur Frage »Warum ich Nationalsozialist wurde«. 700 Zuschriften erreichten ihn. Sie sind in der Online-Collection der Stanford University zugänglich. Wie inszeniert man Texte, die Zeugnisse des deutschen Faschismus sind?

»Es gibt wenig so Komisches, wie die unbeteiligt-überlegene Ruhe, mit der wir, ich und meinesgleichen, den Anfängen der Nazi-Revolution in Deutschland wie von einer Theaterloge aus zusahen — einem Vorgang, der doch immerhin exakt darauf abzielte, uns aus der Welt zu schaffen«, schrieb der Journalist Sebastian Haffner. Auf dem Weg durch den spärlich beleuchteten Gewölbekeller begegnen wir diesen Anfängen, den frühen Anhänger*innen des Faschismus, die sich schon vor Hitlers Kanzlerschaft für die NSDAP engagierten.

Da ist der »Jünger«, der seine scheinbar tonnenschweren Schatten auf die Wand wirft und mit einer Leinwand die in den Raum projizierten Biografiefetzen einfängt. Da ist die bis zur Besinnungslosigkeit verklärte »Orthodoxe«, deren Hitler-Kult von einem schmerzhaft-traurigen Gesang begleitet wird. Da sind Videoinstallationen von Mündern, durch die Backsteinwand zerfurcht, und eine hasserfüllte Fratze auf einem Tablet, das sich eine Protagonistin vor das Gesicht hält.

Es sind leise Kommentare, die Futur3 gegenüber den Texten macht, aber wirkungsvolle. Alleine mit den Performer*innen ist man den Stimmen ausgesetzt, alleine geht man vorüber, ohne Kommentar. Und plötzlich sitzt dort auf der Bordsteinkante, eingerahmt vom Straßenfenster, durch das wir blicken, der junge Mann: Sein Telefonat wird durch einen Lautsprecher nach drinnen übertragen. Er ist ein »politischer Wanderer«, der nach einer Weile dicht an das Glas tritt und Haffners Worte müde spricht. Es ist fast unerträglich, seinem mahnenden Blick standzuhalten.