»Der amerikanische Leviathan« von Heiner Müller

Stadtrevue liest

»Die Heimat der Sklaven ist der Aufstand. Ich gehe in den Kampf, bewaffnet mit den Demütigungen meines Lebens.« Diese Sätze aus seinem Theaterstück »Der Auftrag« (1979) hätte der Dramatiker und Dichter Heiner Müller (1929–1995) ohne den Schock seiner Amerika-Erlebnisse nie schreiben können. Schock? Müller kam aus der DDR, seine Texte sind vollgesogen mit elender deutscher Geschichte, Erzählungen vom Scheitern der Arbeiterbewegung und den Verrenkungen beim Aufbau des Sozialismus. Und dann ergattert der in seiner Heimat häufig verbotene Autor ein Stipendium für einen mehrmonatigen Texas-Aufenthalt — 1975, es war ja Entspannungspolitik. Die Weite des Landes und die Wucht des Superkapitalismus zersprengten sein Schreiben unwiderruflich. Davon zeugt noch mal eindringlich die Anthologie »Der amerikanische Leviathan«, die Heiner Müllers Ringen um die Erfahrungen in den USA dokumentiert: Alphabetisch geordnet, erweitert um Fotografien, die einen in der Landschaft verlorenen Müller zeigen, bringt sie Zitate, Gedichte, Notizen, Fetzen, Gangsterprosa. Manchmal banal, sicher, aber die Sicht des kleinen Sachsens mit Stalin im Nacken macht bewusst: Der Kapitalismus ist ein Monster.

Suhrkamp, 340 Seiten, 18 Euro