Road to nowhere? »My Generation« von Ludovic Houplain

Zugeballert mit Zeichen

Das KFFK/Kurzfilmfestival Köln zeigt in der Sektion New Aesthetic unser virtuelles Leben auf der großen Leinwand – ein Gespräch mit Festivalleiter Johannes Duncker

Die Reihe New Aesthetic hat sich seit 2013 zu einer Art Markenzeichen des KFFK entwickelt. Was war die Motivation sie einzuführen?

Damals gab es einfach eine Reihe von Filmen, die hauptsächlich im Internet präsentiert wurden und wirklich was Neues gemacht haben, aber nicht auf Festivals vertreten waren. Das waren unter anderem Desktop-Documentaries, also Filme, die ihre Handlung auf der Benutzeroberfläche eines Computers präsentieren. Darunter waren frühe Filme von Kevin B. Lee, bei denen ich spannend fand, sie mal auf der Kinoleinwand zu zeigen und zu gucken, wie sie in einem Festivalrahmen funktionieren. Wir verbringen mittlerweile so viel unserer Zeit im Internet, das ist unser aller Welt, und das wird hier konzentriert verhandelt.

Die New-Aesthetic-Filme thematisieren also unser Leben im virtuellen, digitalen Raum.

Genau, sie reflektieren, was da mit uns passiert. Mittlerweile durchdringt das ja alle Lebensbereiche. Aber es geht auch darum zu gucken, wie das ästhetisch verhandelt wird: Wie verändert sich die Filmform durch neue Tools, dadurch, dass man digitale Oberflächen abbildet? Es ist immer diese Doppelung. Im besten Fall verhandeln die Filme die Digitalisierung unseres Alltags auf der formalen und inhaltlichen Ebene.

Im aktuellen Programm findet man Filme, die in Gamingwelten spielen und sie thematisieren, so genannte Machinimas, oder Filme, die aus Youtube-Clips kompiliert wurden, die bereits genannten Desktopfilme, aber auch schon fast traditionell wirkende digitale Animtionsfilme.

Ja, »My Generation« von Ludovic Houplain ist ein schöner Einstieg ins Programm, ein Film, voller Logos und Symbole unserer Gegenwart, ein totales Zugeballere mit Zeichen, wie man es aus im Internet kennt: Hitler neben Mickey Mouse usw. Von da aus kann man dann in die einzelnen Nischen abtauchen. Das ist sicherlich ein Thema im diesjährigen Programm: dass die Leute sich in den Nischen finden und da zum Teil auch radikalisieren.

In mehreren Filmen geht es um Rechte im Internet, ist das ein neues Thema?

Die Radikalisierung ist ein neues Thema. Das Genderthema ist auch stark vertreten: Erst haben wir gedacht, wir machen einen Themenblock Männer, einen Themenblock Frauen. Dann ist uns aufgefallen: In den Männerfilmen geht es um das Militär und Gewalt, bei den Frauenfilmen wird geputzt und es geht um Hautkrankheiten. Das konnten wir nicht so stehen lassen.

Das fällt tatsächlich auf, wenn man die beiden Programme sieht: Die Technik ist neu, die gesellschaftlichen Normen, die im Netz verbreitet werden, bleiben aber alt.

Das ist natürlich traurig. Da geht es auch darum, Werbung zu verkaufen beziehungsweise Klicks zu generieren auf Youtube. Das scheint ja leider zu funktionieren, wenn man solche Stereotype bedient. Die Frauen stellen sich etwa als dienend und verfügbar dar. Auf der anderen Seite erzeugt das Frustration bei jungen Männern, weil die Frauen eben nur scheinbar verfügbar sind, aber für diese Männer eben nicht.

Gab es solche Filme, die das kritisch, essayistisch aufarbeiten, früher nicht?

Diese Sektion hat ein bisschen ihre Unschuld verloren. Anfangs kreisten die Filme mehr um sich selber. Man hat rumexperimentiert, hatte Spaß an der Form. Mittlerweile sind die Filme­macher*in­nen ernsthafter geworden. Man merkt, dass die Netzkultur teilweise sehr bedrückende Konsequenzen im so genannten echten Leben hat. Gleichzeitig bleibt eine gewisse Verspieltheit, eine Freude an der Technik. Wir wollten in diesem Programm von Anfang an immer beides abbilden. Wir wollten kritisch sein, aber nicht mit erhobenem Zeigefinder sagen: Das ist böse!

Wie verändert die große Leinwand die Filme?

Anders als im Netz guckt man sich ja bei uns ein ganzes abendfüllendes Programm hintereinander an, dabei ist es spannend, wie die Filme aufeinander reagieren. Es gibt interessante Korrespondenzen. Bei den Desktopfilmen ist interessant, dass sie nicht mehr in diese Fensterlogik eingebunden sind. Wenn ich sie auf dem Computer gucke, reproduzieren sie ja das Bild, dass ich von der Benutzeroberfläche gewohnt bin. Im Kino regen sie dazu an, noch mal darüber nachzudenken, wie ein Desktop funktioniert. Wir nehmen das ja als gegeben hin, aber das ist natürlich ein Konstrukt. Eigentlich sollte das Kinoerlebnis ja immersiver sein, aber in dem Fall hat man vielleicht eine Abstraktionsebene mehr, weil man die Filme aus dem gewohnten Kontext herausholt.

Gerade in Corona-Zeiten wird ja das Gemeinschaftserlebnis im Kino beschworen. Die Filme im New-Aesthetic-Programm sind im Bezug auf das Internet ambivalent: Viele scheinen unschlüssig, ob die Virtualisierung einsam macht oder umgekehrt neue Gemeinschaften schafft.

Das ist die Doppellogik, die ich vorhin angesprochen habe: Du kannst in irgendeiner Nische im Internet Freunde fürs Leben finden, die du vorher in deinem Dorf niemals getroffen hättest. Gleichzeitig wird einem in Social-Media-Kanälen ein Bild vorgelebt, wie man sein sollte, in dem es wenig Platz für Abweichungen vom Mainstream gibt.

Mi 18.11.–So 22.11., Streams: kffk.de