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Das Ende der Rührung

Partizipativ soll das Theater sein. Das war es auch, bis Richard Wagner das Licht im Zuschauerraum ausknipste


Früher war das Theater ein geselliger Ort. Ein Ort des emotionalen Ausnahmezustandes, wo Platz nahm, wer sich rühren lassen wollte. Man kam, um gemeinsam zu lachen, zu jubeln, zu weinen und nicht selten auch, um seinem Missfallen Ausdruck zu verleihen. Dunkel war es dabei nie im Parkett. Ein großer Kronleuchter an der Decke, zunächst mit Wachskerzen, später mit heller brennenden Argand-Lampen bestückt, erleuchtete den Zuschauerraum — eine gute Voraussetzung für das, was man als »Gefühlsansteckung« bezeichnete. Die Minen und Gebärden nicht nur der Schauspieler auf der Bühne, sondern auch der anderen Zuschauer sollten einen »geraden Weg in das Herz« öffnen, schrieb 1762 der schottische Philosoph Henry Home. Und Johann Georg Sulzer, ein Schweizer Philosoph, erklärte genau dreißig Jahre später in seiner »Allgemeinen Theorie der schönen Künste«: »Nichts in der Welt ist anstekender [sic!] und kräftiger wirkend, als die Empfindungen, die man an einer Menge Menschen auf einmal wahrnimmt.«

Der gewöhnliche Mensch verwandelte sich in diesen Minuten in einen idealen Menschen, in dem Sinnliches und Vernünftiges miteinander versöhnt sind. In einer Kritik zu Schillers Uraufführung von »Die Räuber« klingt das 1782 so: »Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme. Frauen wankten einer Ohnmacht nahe zur Thüre [sic!]. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht!«

Doch dann kam der Abend des 13. August 1876: In Bayreuth eröffnete das Festspielhaus mit einer Aufführung von Wagbners »Rheingold«. Die eben erst installierten Gaslampen im Zuschauerraum ließen sich nicht dimmen und erloschen stattdessen gänzlich. In völliger Dunkelheit verfolgte das Publikum das Verfluchen der Liebe durch Zwerg Alberich. Die Bühne wurde zum »Traumbild«, wie Hugo von Hoffmannstal es dreißig Jahre später schrieb — und das Theater zum magischen Ritual, bei dem man sich fortan still zu verhalten hatte.