Erdnussflips zum Abendbrot

Materialien zur Meinungsbildung /// Folge 224Rockband: »Brechen das was?«

Rockband: »Brechen das was?«
Publikum: »Das Gesetz!«
Judas Priest: »Breaking the Law«
(Rock Pop in Concert, 1983)

»Dieses Koronna oder wie das heißt ist, das ist in zwei Wochen wieder vorbei.« Also sprach Herr Hirmsel von Trinkhalle Hirmsel. Es war im Märzen, der Bauer spannte die Rösslein ein, der Frühling ließ sein blaues Band durch die Lüfte flattern, und das Leben war unbeschwert und heiter. So kommt es mir zumindest jetzt vor. Jetzt ist November.

Ein böser Spaß ist es, sich im Nachhinein solche dahingeplauderten Prognosen zu vergegenwärtigen. Man kann sich die Zukunft eben derart zusammenphantasieren, dass man einfach glaubt und meint, was man sich eigentlich doch bloß wünscht. »Ich glaub, ’ne Tüte Erdnussflips zum Abendessen schadet nicht, das ist gesund!«, sagt das Kind. Wenn es Glück hat, bekommt es Schimpfe. Wenn es Pech hat, gibt es zwei Tüten Erdnussflips und Mamas iPhone zum Daddeln, damit endlich Ruhe ist. Später wird das Kind mit ähnlichen Behauptungen Staatspräsident einer führenden Industrienation und lässt die Sau raus.

Ach, wir alle wollen uns ja nichts sagen lassen! Nicht von Mama und Papa, die uns Erdnussflips verbieten, nicht vom Finanzamt, der Hausärztin oder dem Gesundheitsminister, und schon gar nicht von unergründlichen Instanzen wie Vernunft, Gerechtigkeit, Moral. Wir wollen keine Regeln und Bevormundung, wir wollen Erdnussflips zum Abendbrot und keinen Atemschutz!

Revolte, Widerstand — das wirkt immer charismatisch. Aber sich zu fügen, das Einverständnis, das gilt grundsätzlich als Symptom einer schwachen Persönlichkeit. Auch das Freiheitspathos von Atze und Pit, die immer mit ihren Hunden vor Trinkhalle Hirmsel rumsitzen, nimmt jede Regel als Drangsalierung und jede Übertretung als Selbstermächtigung. Man kann erbost und grimassierend »Breaking the Law« grölen, aber nicht »Obeying the law«. Allerdings: Gesetze brechen und Regeln missachten, das tun doch gerade auch all die Großkopferten, die von Atze und Pit verachtet werden, weil sie Panzer in Krisenregionen liefern oder Oma Porz windige Finanzprodukte oder explodierende Heiz­decken andrehen.

Nun heißt es, der Staat solle gegen die Seuche  nur solche Regeln zur Eindämmung aufstellen, die die Menschen nachvollziehen können — andernfalls dürfe man sich nicht wundern, wenn Leute sie nicht befolgten. Hm, das ist rechtsphilosophisch eine etwas schrullige Position, finde ich. Natürlich kann ich sämtliche Rechtschreibregeln ablehnen, weil sie mir zu aufwändig erscheinen oder ich mich durch sie in meiner Freiheit einschränkt fühle. Ich kann sagen, sie seien altmodisch, bevormundend oder einfach ziemlich lästig. Regeln, so scheint‘s, kann der Mensch nur »nachvollziehen«, wenn sie ihn überhaupt nicht einschränken. Wenn Regeln, Verordnungen, Gesetze ihm hingegen zum Vorteil gereichen, verzichtet er großzügig darauf, sie nachvollziehen zu können. Und überhaupt: Im Fußball werden alle Naselang die Regeln geändert: Abseits, Auswechslungen, Transfermarkt. Trotzdem schalten die Menschen ein, wenn sich deutsche Millionäre in kurzen Hosen auf einem ukrainischen Rasen langweilen. Auch wenn keiner nachvollziehen kann, was die Regeln von dieser »Nations League« eigentlich sind.

Herr Hirmsel fügt sich übrigens. Womöglich traumatisiert von seiner fälschlichen Frühjahrsprognose, schaut er mit leerem Blick Nations League in seinem Fernseher und befolgt demonstrativ leidenschaftslos die Corona-Auflagen. »Bitte Maske aufsetzen, sorry dafür« steht am Eingang von Trinkhalle Hirmsel. Herr Hirmsel sagt: »Ich find das mit der Maske im Gesicht eigentlich okay. Die Visagen, die hier zu mir kommen, hältste doch sonst im Kopp nicht aus!«