Das zumindest wäre geklärt — Die neuen Vertretungen von OB Reker (Mitte): Brigitta von Bülow, Ralf Heinen, Andreas Wolter, Ralph Elster

Alle auf Wendung

Nach dem Wahlsieg der Grünen zieht sich die Suche nach Bündnispartnern im Stadtrat in die Länge. Besser klappt’s in den Bezirken

Es gibt Jamaika, Ampel, Deutschland, Kenia — aber wie nennt man eine Koalition aus Grünen, GUT, FDP, Linke und Klima Freunden? Die Bezeichnung ist weniger griffig: »Bündnis für ökologische und soziale Innovation«. Auch wenn das nicht im Kölner Stadtrat stattfindet, sind Klimaschützer, Radfahrer und das gesamte links-alternative Milieu in gespannter Erwartung, was da in der Bezirksvertretung Nippes passiert. Das neue Fünferbündnis will nahezu im gesamten Bezirk Tempo 30 einführen, viele öffentliche Autoparkplätze abschaffen und durch Quartiersgaragen ersetzen sowie den Ausbau des Niehler Gürtels für den Radverkehr vorantreiben — das hatten SPD und CDU immer blockiert.

»Ich glaube nicht, dass dieses Bündnis den Bezirk widerspiegelt«,  sagt Bernd Schößler. Nach 21 Jahren Regentschaft in Nippes war der SPD-Bezirksbürgermeister nicht mehr angetreten. Seine Genossen haben bei der Wahl ebenso große Verluste hinnehmen müssen wie ihr bisheriger Bündnispartner CDU. Nun stellen die Grünen mit Diana Siebert die Bürgermeisterin, deren Bündnis eine Stimme Mehrheit hat. Schößler kritisiert die teils sehr jungen Einzelmandatsträger, die im Stadtbezirk womöglich gar nicht stark verankert seien. Ihm sei es immer darum gegangen, »alle Menschen im Bezirk mitzunehmen«, sagt Schößler. »Die Bezirksvertretung ist keine Spielwiese für Interessenvertreter!«

Die neue Bezirksbürgermeisterin Diana Siebert sieht als dringlichstes Anliegen, »dass man als Fußgängerin und Radfahrerin endlich lebenswert durch den Bezirk kommt.« Mit GUT, Klima Freunde, Linke und FDP habe man schnell und vertrauensvoll in die inhaltliche Arbeit einsteigen können. »Mir kommt es auf die Umsetzung der Inhalte an«, sagt Siebert.

Aber warum trägt auch die FDP das laut Siebert »fast radikal-ökologische Programm« mit? Hat man deren Vertreter Marc André Urmetzer mit dem Posten eines zweiten stellvertretenden Bezirksbürgermeisters geködert? Urmetzer winkt ab: »Ich stehe voll hinter unserem Programm, das übrigens eine deutliche FDP-Handschrift trägt.« Quartiersgaragen, technische Ausrüstung der Schulen, verkaufsoffene Sonntage — das seien seine Anliegen gewesen. Urmetzer lobt die »integrative Kraft« der neuen Bezirksbürgermeisterin«. Siebert habe eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen. Ist die FDP am Ende gar keine Auto-Partei mehr? »Ich habe jedenfalls kein Auto«, sagt Urmetzer und lacht.

Aufbruchstimmung auch im Bezirk Innenstadt. Hier wurde unter dem wiedergewählten grünen Bürgermeister Andreas Hupke eine »sozial-ökologische Wende« ausgerufen. Dazu gehört unter anderem eine »durchgrünte Innenstadt mit Dach- und Fassadenbegrünung, Kleingartenanlagen und Gemeinschaftsgärten«, außerdem »die Integration der Essbaren Stadt in die Stadtentwicklung.« Mehr Kleingärten, Gemüse am Straßenrand — alle 19 Mitglieder der Bezirksvertretung sind dafür.

Von solcher Einigkeit war man in Porz lange entfernt. Nun will die neue Bezirksbürgermeisterin Sabine Stiller das ändern. Die CDU-Politikerin tritt die Nachfolge ihres Parteikollegen Henk van Benthem an. Seit dessen Amtsantritt vor sechs Jahren begleiteten ihn Vorwürfe, weil er sich in geheimer Wahl mit den Stimmen von AfD und Pro Köln hatte wählen lassen — ein Tabubruch. Doch van Benthem blieb stur, saß alle Anfechtungen aus. Viele gingen auf Distanz. Van Benthem galt fortan als lame duck. Die Grünen in Porz — nach der Wahl hier nur Dritter hinter CDU und SPD — stellten als Bedingung für eine schwarz-grüne Kooperation, dass van Benthem zurücktritt. Die CDU machte es möglich.

»Wie das früher war, möchte ich nicht beurteilen«, sagt van Benthems Nachfolgerin Sabine Stiller. »Ich habe ein unstrittiges Wahlergebnis, dadurch lässt sich jetzt mehr gemeinsam angehen!« Sie sei Team-Playerin, möchte ihre Stellvertreter und die Verwaltungsmitarbeiter stärker einbeziehen. »Ich möchte Kooperation und eine wertschätzende Kommunikation.« Bürgernähe ist ihr wichtig, doch sieht sie ihre Aufgabe nicht nur in der Repräsentation, sie sagt: »Ich bin schließlich auch in die BV gewählt.«

Von einem »fast radikal-ökolo­gischen Programm« wie in Nippes oder der Innenstadt ist man in Porz weit entfernt. Aber der Porzer Grünen-Politiker Dieter Redlin sagt: »Wenn man sich unseren Koopera­tionsvertrag mit der CDU durchliest, sieht man, dass das eigentlich unserem Wahlprogramm entspricht.« Für Redlin ein voller Erfolg. Redlin sagt auch, ohne van Benthem könne es jetzt aufwärts gehen in Porz.

Auch Lutz Tempel (SPD) ist »sehr froh, dass van Benthem nicht mehr im Amt ist.« Eigentlich strebte die SPD selbst das Amt des Bezirksbürgermeisters an, immerhin ist sie zweitstärkste Kraft hinter der CDU. Doch dafür hätte man mindestens noch die Unterstützung der Grünen benötigt. »Aber die haben gemerkt, dass die CDU ihnen mehr Zugeständ­nisse macht«, sagt Tempel. »Der CDU war vor allem der Posten wichtig.« Nun ist Tempel Vize-Bezirksbürgermeister und zuversichtlich, dass es »nun eine andere Kultur in der BV gibt, man besser miteinander redet und auch vieles in breiter Mehrheit beschließen kann.« So vieles steht an: bessere Busverbindungen, Verlängerung der KVB-Linie 7, neue Wohngebiete und neue Schulen. Aber nur, wenn die BV Einigkeit signalisiere, sagt Lutz Tempel, könne man etwas für den Stadtbezirk erreichen und im Rat der Stadt damit durchdringen.

Aber warum haben die Grünen in Porz so lange mit der damaligen CDU-Fraktion zusammengearbeitet, die van Benthem im Amt hielt? »Wir mussten entscheiden: Politik für Porz oder Voll-Opposition, wir haben uns für Porz entschieden«, sagt Dieter Redlin. Für Redlin ist die Fortführung des grün-schwarzen Bündnisses auch im Rat der Wunsch. Aber das ist nicht so einfach.

Zwar sind die Grünen im Rat der große Wahlsieger, doch die ­Verhandlungen mit CDU und SPD dauern an. Einen von beiden be­nötigen sie. Doch die CDU müsste ihren Wählern erklären können, warum sie sich als Juniorpartner andient und weniger durchsetzen können wird als zuvor, wo die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten austariert waren. Und die SPD müsste in derselben Rolle gleichfalls bei vielem klein beigeben. Bei der Verkehrs- und Klimapolitik fehlen sowohl der SPD wie der CDU im Rat wohl der entsprechende Elan für eine Wende, wie sie in Nippes oder der Innenstadt verkündet wird. Hinzu kommt: Die Grünen brauchen neben CDU oder SPD noch einen weiteren Partner.

»Es gibt viele Herausforderungen«, sagt Christiane Martin, Frak­tionschefin der Grünen. »Daher ist es wichtig, eine möglichst breite Mehrheit zu haben.« Wechselnde Mehrheiten stehen offenbar nicht zur Debatte. Daher ist die Europa-Partei Volt mit ihren vier Stimmen im Rat derzeit sehr gefragt.

Rebekka Möller, eine von vier Vorsitzenden, den sogenannten City-Leads, von Volt in Köln, sagt: »Mit den Grünen gibt es definitiv große inhaltliche Übereinstimmungen.« Aber auch mit den möglichen Bündnispartnern CDU oder SPD sieht Müller Schnittmengen. Bei der SPD vor allem in der Wohnungs­politik und bei der CDU wirtschafts­politisch bei der Förderung von Start-ups und Digitalisierung. »Demokratie ist immer Kompromiss«, sagt Müller. »Aber die Entscheidungen müssen transparent und nachvollziehbar sein, Hinterzimmergespräche wollen wir nicht.« Dass die Volt-Fraktion aufgrund mangelnder Erfahrung in Verhandlungen übervorteilt werden könne, glaubt Müller nicht. »Wir arbeiten immer in großen Teams, damit niemand alleine dasteht, wenn es darum geht, sich inhaltlich, formal oder auch juristisch einzuarbeiten.«

Eines der großen Themen wird in der kommenden Ratsperiode die Ost-West-Achse sein. OB Reker will den Tunnel durch die Innenstadt, ihre Verkehrsdezernentin Andrea Blome ebenso. Die Grünen halten das Großprojekt für zu teuer, zudem benötige es zu lange. Sie bevorzugen oberirdische Lösungen, die schneller und billiger umzusetzen sind.

»Das Thema Ost-West-Achse haben wir vielleicht etwas unterschätzt«, gibt Rebekka Müller von Volt zu. »Eigentlich steht ein mehrgleisiger Tunnel als Lösung im Wahlprogramm, aber wir möchten unbedingt noch mehr Daten und eine Klimafolgenabschätzung, um zu einer ausdifferenzierten Position zu kommen.«

Das Thema sei auch nicht ­entscheidend für ein Bündnis, sagt Christiane Martin von den Grünen, auch wenn ihre Partei gegen den Tunnel ist. »Es gibt ja den Beschluss aus der vergangenen Ratsperiode, dass die Verwaltung sowohl die oberirdische wie die Tunnel-Variante prüft«, sagt sie. »Das Ergebnis warten wir ab, ich sehe daher zur Zeit keinen Handlungsbedarf.«

Die kleinen Gruppen Klima Freunde und GUT sind strikt gegen den Tunnel, lägen damit auf grüner Linie. Inhaltlich teilen sie oder überbieten sogar noch die grünen Positionen bei Umwelt- und Klimaschutz. Die Klima Freunde aber sehen die bisherige Arbeit im Rat und seinen Gremien skeptisch, sie sind basisdemokratisch organisiert. Das könnte Ab­stim­mungen in einem Bündnis durchaus komplizierter machen. So ist wohl Volt der aussichtsreichste Kandidat als Dritter in einem Bündnis unter Leitung der Grünen. Sicher auch, weil SPD wie CDU in einem Bündnis mit Klimaaktivisten wohl um Verlässlichkeit bangen würden, zumal wenn diese auch die bisherigen Routinen im Rat und seinen Ausschüssen skeptisch betrachten. Christiane Martin sagt, sie empfinde Klima Freunde wie »eine Retrospektive auf die grünen Anfangsjahre«, ein »grundsätzliches Problem« sieht sie nicht. »Wichtig ist in den Verhandlungen, Vertrauen aufzubauen«, sagt Christiane Martin. Dafür be­nötige man Sorgfalt und Zeit. Die große Wende im Rat, sie ist derzeit noch nicht in Sicht.