»Die werden uns die Bude einrennen«

Im Kampf um mehr bezahlbare Wohnungen ruhen große Hoffnungen auf Genossenschaften. Jüngste Neugründungen wie in Zollstock oder Bickendorf können als Vorbilder dienen. Doch auch sie müssen große Hürden umschiffen, vor allem bei der Finanzierung

Die Last der Verantwortung für ein 22 Millionen Euro teures Bauvorhaben merkt man Friedel Drechsler, Silvia Bröhl und ihrer Schwester Sonja Franke nicht an. »Wir waren noch nicht beim Notar. Aber das ist nur noch eine Formalität«, sagt Franke. Die drei, keiner älter als Mitte 30, stehen auf einer Fläche, die einmal Kleingartenanlage war und nun Teil der ursprünglich wild gewachsenen Siedlung am Kalscheurer Weg in Zollstock werden soll. 110 Sozialwohnungen und eine Kita wollen sie bauen. Der Stadtrat hat jüngst beschlossen, ihnen ein Erbbaurecht für das städtische Grundstück am Rand der Siedlung und gegenüber dem Südfriedhof zu übertragen. Der Vertrag, Laufzeit 99 Jahre, soll demnächst unterzeichnet werden. Es folgen Kreditvertrag und Bauantrag. Geht nichts schief, können sie im nächsten Herbst anfangen. »Das ist ein Novum für Köln«, sagt Jörg Frank, der als jüngst ausgeschiedener Ratsherr der Grünen und ehemaliger Vorsitzender des Liegenschaftsausschuss maßgeblich an den Verhandlungen beteiligt war. Er meint nicht nur das Erbbaurecht, das künftig für städtische Grundstücke die Regel werden soll, sondern auch die Tatsache, dass eine neu gegründete Genossenschaft in Köln baut. Die jungen Siedler*innen gehören dem Vorstand und dem Aufsichtsrat der 2017 gegründeten Mietergenossenschaft an, die die Erweiterung stemmen soll. Die Verantwortung teilen sie sich mit ihren 220 Mitgliedern und den altgedienten Vorständen der Schwestergenossenschaft, damals gegründet, um die informelle Siedlung zu legalisieren.

Die Umgebung zu gestalten, ist den Zollstocker*innen ein zentrales Anliegen. »Das ist ein Platz, der uns wichtig ist«, sagt Silvia Bröhl. Mit ihrem Engagement wollen sie sichergehen, dass ihre Siedlung behutsam wächst, und sozialverträglich. Die neuen Wohnungen werden nur an Mieter*innen mit Wohnberechtigungsschein vergeben. Erste Interessent*innen gebe es bereits. In drei Monaten sollen Bewerbungen möglich sein. »Ich glaube, die werden uns die Bude einrennen«, sagt Sonja Franke. Ausgewählt wird per Quotenregelung. »Wir versuchen, eine gute Mischung zusammenzustellen«, sagt Friedel Drechsler. Mieter*innen müssen zwar Anteile im Wert von 100 Euro je Quadratmeter erwerben. Die Stadt und die KFW-Bank können dabei aber mit günstigen Krediten helfen.

Bezahlbarer Wohnraum werde immer knapper, haben die Genoss*innen festgestellt. Deshalb haben sie sich im Pachtvertrag verpflichtet, die günstigen Sozialmieten auf 50 Jahre festzuschreiben. Das hat das Liegenschaftsamt letztlich wohl auch in der Bewertung des Grundstücks berücksichtigt. Die Genoss*innen zahlen künftig 1,5 Prozent Pachtzins für das gut fünf Millionen Euro teure Grundstück, das am Anfang der Verhandlungen noch knapp das Doppelte kosten sollte — ein Betrag, der günstige Wohnungen verhindert hätte.

Andere wohnungspolitische Initiativen verfolgen das Zollstocker Projekt aufmerksam. »Die Stadt ist über ihren Schatten gesprungen«, sagt Irmhild Engels. Sie engagiert sich in der Initiative »Stadtraum 5und4«. Auch ihr Ziel ist, eine Genossenschaft zu gründen, ein Grundstück zu finden und 50 bis 100 Wohnungen zu bauen. »Für uns ist das eine Möglichkeit, Gemeinschaft zu schaffen«, sagt Engels. Sie grenzt den Genossenschaftsgedanken ab von Baugruppen, deren Mitglieder »schöne Wohnungen für sich selbst« bauen würden. Im Entwurf der Satzung haben sie den solidarischen Gedanken festgeschrieben. Erträge sollen in neue Projekte investiert werden. Wer Mieter*in wird, muss Genossenschaftsanteile kaufen, Mitglied im Verein werden und sich den gemeinsamen Zielen verpflichten. Mieten sind nach Einkommen gestaffelt, auch die entsprechenden Anteile. Und sie wollen »in die Stadt hineinwirken, schauen, was das Viertel braucht«. Doch die Hürden sind hoch. Engels und ihre Mitstreiter*innen haben kein Baugrundstück in Aussicht. Zwar erkennt Engels erste Anzeichen, dass die Stadt umdenke. Die »richtigen Worte« verwende die Stadtspitze bereits. Doch nun müssten Taten folgen.

Neugründungen von Genossenschaften in Köln bleiben vorerst die Ausnahme, obwohl die Politik große Hoffnungen in die nicht an Rendite orientierte Unternehmensform setzt. Die Stadt kann helfen, indem sie Bauland bereitstellt, und die Politik, indem sie Anreize dafür setzt,  bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Oberbürgermeisterin Henriette Reker und ihre für Liegenschaften zuständige Dezernentin Andrea Blome hatten im Sommer angekündigt, dass städtische Flächen künftig nicht mehr verkauft, sondern verpachtet werden sollen —  ein Paradigmenwechsel.

Die Kommune soll so stärker Einfluss auf den Grundstücksmarkt nehmen und auch weniger finanzkräftige Investor*innen zum Zug kommen lassen. Zudem sollen alle motiviert werden, ausreichend günstige Wohnungen einzuplanen. Sonst sollen sie einen höheren Pachtzins zahlen. Noch muss der neue Rat das diskutieren und beschließen. Doch die Siedler*innen in Zollstock sollten bereits erklärtermaßen als erstes Beispiel dienen. Für junge Genossenschaften ist aber insbesondere die Erbpacht nicht zwangsläufig ein Vorteil. Die Finanzierung gestaltet sich dadurch gänzlich anders. Sie können das Grundstück nicht als Sicherheit einbringen. Die Zollstocker*innen behelfen sich mit Bürgen, Fördermitteln, Darlehen und Zuschüssen.

Einen anderen Weg fand Michael Schleicher, der vor einem ähnlichen Problem stand. Der ehemalige Leiter des Kölner Wohnungsamtes verbringt seinen Ruhestand mit dem Versuch, zu beweisen, dass man attraktive Sozialwohnungen in nennenswerter Zahl bauen kann, ohne Verluste zu machen. Er hat die Genossenschaft Generationensolidarität gegründet, kurz Gegeso, die in Bickendorf ein Grundstück mit 54 Wohnungen bebaut — barrierefrei, für Wohnscheinberechtigte, mit Mehrgenerationenprojekt und Demenz-WG.

Doch auch dem ehemaligen Spitzenbeamten der Stadtverwaltung hat die Finanzierung schlaflose Nächte bereitet. »Daran wäre ich fast gescheitert«, sagt Schleicher. Und er dürfte von einem gewissen Vertrauensvorschuss profitiert haben. Nur mit Hilfe der traditionellen Genossenschaft Kölner Gartensiedlung haben er und seine Genoss*innen schließlich das Grundstück von der Stadt kaufen können. Und nur weil die Partner zugestimmt haben, kann die neue Genossenschaft es als Sicherheit für Kredite einsetzen.

Die traditionellen Genossenschaften reagieren generell zurückhaltend auf die Neugründungen — das hat zumindest Irmhild Engels beobachtet. »Mit Ideen für ein Wohnprojekt braucht man zu denen nicht zu gehen. Die sehen nicht die Verpflichtung, ihre Überschüsse zu reinvestieren«, sagt sie. So zahlten viele ihren Mitgliedern für ihre Anteile lieber bis zu vier Prozent Dividende. Da sie auch den Unternehmenskurs mitbestimmen und selbst mit Wohnungen versorgt sind, halten sich die Anreize für Neubauvorhaben in Grenzen.

Welche Anstrengungen nötig sind, um neuen Genossenschaften Starthilfe zu geben, zeigt auch das nächste Vorhaben, das Michael Schleicher in Bonn vorantreibt. Dort hat er den Haus- und Grundbesitzerverein, den Mieterverein und die Stadt zusammengebracht. Gemeinsam war es letztlich möglich, das nötige Eigenkapital für ein geplantes Bauvorhaben einer neu gegründeten Genossenschaft zu stellen.