Freut sich auf Freitag: Sophia Kennedy

Mehr Bewegungsfreiheit

Das Streaming-Portal Bandcamp ist freundlich zu den Musikern

Es wird eng und enger. Wenn man sich umhört, wird allenthalben »jekühmt«, wie man bei uns so sagt. Die Belastung durch Corona und den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hat sich gerade für Labels und Künstler*innen zur echten Zerreißprobe ausgewachsen. Der Lackmustest färbt sich rot: Sauregurkenzeit ist angesagt. Mit dem Wegfall der Gelder, die aus Auftritten, ob als DJ oder Live, generiert werden, ist eine ganze Industrie ins Wackeln geraten.

Die Lösungsansätze sind viel diskutiert, die Hoffnung, dass Corona »endet« — auch wenn keiner weiß, an welchem Punkt man überhaupt wieder von Normalität wird reden können — ist groß, bis dahin heißt es, nach neuen Wegen Ausschau zu halten. Gerade Kurzformate erweisen sich als geeignete Überbrückung. So erklärt sich jedenfalls, wie auf der »independent« Musik-Plattform Bandcamp der Veröffentlichungsmarkt wild sprießt. Das ist nicht der erhoffte Kulturüberschuss der Krise, sondern schlicht und ergreifend der letzte Strohhalm.

Bandcamp, seit 2008 in Oak­land beheimatet, kommt derzeit eine herausragende Rolle zu. Dadurch, dass es krachend einfach ist, Musik hochzuladen, können Kulturschaffende abseits großer Labels, Vertriebspartner und Vermarktungsgesellschaften ihr Werk digital anbieten. Mutet Bandcamp beim ersten Blick wie ein Streaming-Portal an, stellt die Plattform recht besehen eine interessante Variante dar: Nach dem vierten Anhören, insistiert die Plattform auf den Erwerb der Musik. Wo man für den Dienst normalerweise 15 Prozent Provision an Bandcamp zahlt, verzichtet das sympathische Unternehmen einmal im Monat auch auf dieses Geld: Bandcamp-Friday nennt sich das, die Social-Media-Kanäle laufen in der Woche vor diesem »verkaufs­offenen« Freitag förmlich über. Allerdings: Zu viele Anbieter treffen auf eine zu kleine Käuferschaft. Zwar sind nunmehr zwanzig Millionen Dollar an den ersten vier Bandcamp-­Freitagen geflossen; verglichen mit etwa 1,2 Millionen »content-generierenden Usern« ist das dennoch wenig. Indes müssen Künstler*in­nen trotzdem darauf setzen, an diesem Tag zumindest geringe Umsätze zu generieren. Was folgt ist ein Verdrängungswettbewerb der Aufmerksamkeit. Wer kann die wenigen Käufer*innen an sich binden?

Um ein wenig Ordnung zu schaf­fen, kommen hier ein paar Tipps — alle auf Bandcamp zu erwerben. Fangen wir an mit dem Label Höga Nord. Die Schweden nerven zwar mit täglich eintrudelnden Mails, die von neuen Veröffentlichung reden und zum Kauf auffordern. Dennoch ist die Nummer 38 von The Exorcist GBG ein Banger erster Güte. Die A-Seite »Stonerdisco« ist ein psychedelischer Höllenritt à la »Fear and Loathing«, die wuchtig-brummende Basslinie massiert das Rückenmark. Ein Blick in die weiteren Veröffentlichungen sollte gerade Kraut-Fans nicht enttäuschen.

»Orange Tic Tac« von Sophia Kennedy hat zwar keine brum­men­de Basslinie, aber ist dennoch eine Nummer bei der man sich, wie es auf französisch heißt, am liebsten einscheißen würde vor Freude. Die hochgelobte Hamburgerin vereint hier wieder ihren Gesang, der immer häufiger an Hildegard Knef erinnert, mit einem berauschenden Elektro-Pop-Entwurf. Selbst im Vergleich zum hochgelobten Debüt-­Album weiß Kennedy nochmal eine Schaufel drauf zu legen. Berauschend.

Etwas härter als an der Elbe geht man es in Tel Aviv an. Seit etwa zehn Jahren gibt es einen Musikhype um die Mittelmeer-Metropole, losgetreten von Acts wie Red Axes. Dass mittlerweile kaum einer der Akteure mehr in Tel Aviv wohnt, stört vor allen Dingen die Club­gänger*innen wenig. Good News: Es wächst gerade eine neue Generation heran. Ein Künstler aus dieser heißt MYKI. Zwar hat er mit seiner Band Shen schon in das Geschäft reinschnuppern dürfen, das Solo-Debüt »Natif« stellt dennoch einen saftigen Schritt nach vorne dar. Schleppend-scheppernder Break-Beat, Detroit-esken und tribalistischer Jungle. Obschon das durcheinander klingt, funktioniert es zusammen besonders gut.

Frisches Material kommt auch vom Digger-Label Emotional Rescue. Stuart Leath wirbelt seit Jahren mit den Labels Sacred Summits, Platform 23, Mysticism, Emotional Response, Schleißen, Emotional Especial und eben Emotional Rescue das DJ-Business auf. Wer noch schnell ein paar geschmacks­sichere Nummer für den abend­lichen Auftritt braucht, der schaut hier nochmal schnell in die Ladentheke. Das Geschäft geht derweil auch in Zeiten der Club-Flaute weiter. Neuster Spross: Dislocation Dance — Midnight Shift. Aber die Demos in diesem Falle. Tasty 80 er-Pop, der nicht ganz genau weiß, wo er hinmöchte. Da klingt Durutti Column oder auch Prefab Sprout an, bewahrt aber eine unvernünftig eigene Note.

Wo wir gerade in der Plattenkiste von Chuggy kramen, folgt hier auch noch was Tanzbares. Auf Mysticism erscheint ebenso dieser Tage der Mini-Sampler »Alchemy«. Der Dance-Klassiker »Worries In The Dance«, der anno 1997 noch als Speed Garage eingeordnet wurde, wird hier zum leicht angekifften Dub runtergedrosselt, bekommt aber auch eine Low-End-Behandlung, wird folglich sogar tanzbarer für den Amateur-Beinschwinger.

Das könnte man stundenlang so weiter betreiben, die Tiefe der Verkaufsplattform ist beachtlich. Das wiederum bringt aber den stationären Plattenhandel in Bedrängnis. Dazu dann beim nächsten Mal mehr.

Tonträger

The Exorcist GBG, »Stonerdisco/Superstandard« (Höga Nord)

Sophia Kennedy, »Orange Tic Tac« (City Slang)

MYKI, »Natif« (Tofistock)

Dislocated Dance, »Midnight Shift Demos« (Emotional Response)

Diverse, »Alchemy« (Mysticism)