Abstand statt Gemeinschaft: Versuche, über den Winter zu kommen, Foto: Andrea Rojas

Coronas Comeback

Gerade, als man sich vielerorts endlich auf neue Konzepte zum Corona-bedingten Kulturbetrieb eingestellt hatte, ist nun wieder alles zu. Warum es mit der Schließung von Clubs auch viele trifft, die eh schon schwächer gestellt waren

Seit Anfang November bleiben alle Clubs wieder geschlossen. Es gibt keine Runner, keine Bar, keine Türsteher, keine Musik. Vor allem aber fehlt der Raum, in dem sich viele Minderheiten und andere Randgruppen ansonsten einigermaßen sicher und vorurteilsfrei bewegen.

Das wurde einmal mehr deutlich, als Beamte der Berliner Polizei eine Veranstaltung der Reihe Pornceptual vorzeitig beendeten, obwohl diese unter freiem Himmel und unter strengen Corona-Auflagen stattfand. Die Gäste der beliebten Fetisch-Party (bei herbstlichen Temperaturen und draußen ohnehin angezogener als sonst) sahen sich teils diffamierenden Polizisten gegenüber, welche die Gäste als »ekelhaft und pervers« beschimpft haben sollen.

Bitteres Zeugnis dessen, dass die sich auf einer Veranstaltung im Clubsektor zusammenfindenden Menschen diesen Raum tatsächlich nutzen, weil sie sonst Gefahr laufen, sich Anfeindungen auszusetzen. Dass diese hier sogar von einem Staatsorgan der Exekutive ausgingen, macht die Sache nur schlimmer. Deshalb aber brauchen Gruppen abseits der Norm ihre safe spaces innerhalb unserer Gesellschaft; egal ob dort nun gefetischt, gekuschelt oder getanzt wird. Um sich dort ohne Angst treffen, zeigen und austauschen zu können.

Wenn diese Communitys im kommenden Winter nun wieder monatelang ohne ihre lokalen Rückzugsräume dastehen, wird das beträchtliche Auswirkungen auf die mentale Gesundheit dieser Menschen haben. Denn auch wenn Beatport-CEO Robb McDaniels Covid-19 dafür »lobt«, die globale Livestream-Entwicklung rasant nach vorne getrieben zu haben, sie zeigt auch, wie wichtig die in 3D gemachte Erfahrung ist.

Die Bundesregierung möchte unbedingt die Neuinfektionen in den Griff kriegen. Das ist angesichts steigender Infektionsraten ohnme Zweifel sinnvoll. Doch ist der Weg ein Bußgeld-Katalog, nach welchem Teilnehmer einer Musikveranstaltung 500 Euro, Organisatoren 5000  Euro Strafe zahlen sollen?

Diese Art von Politik entsteht in Berlin, dort schlägt aber auch das Herz der deutschen Subkultur. Wenigstens dort haben Veranstalter dank der Clubcommission ein aktives, gut aufgestelltes Netzwerk an ihrer Seite. Am Tag der Deutschen Einheit führte die Clubcommission gemeinsam mit 22 Kollektiven und 28 Clubs ihrerseits den Tag der Clubkultur durch.  Projektleiterin Katharin Ahrend sah sich bereits im Vorfeld mit Kritik, die Gesundheit der Bevölkerung zu gefährden, konfrontiert. Ihre Argumentation ist jedoch simpel wie einleuchtend: »Zusammenkünfte von Menschen können nicht verhindert werden. Wir setzen lieber auf das verantwortungsbewusste Zusammenkommen mit Hygienevorschriften, anstatt dass sich Menschen ins Unsichtbare zurückziehen und ohne ein Hygienekonzept in der Hasenheide feiern.«

Der Tag der Clubkultur sollte zeigen, dass Kulturveranstaltungen auch unter Pandemiebedingungen sicher durchführbar sind. Das dezentral an fünfzig  Orten gehaltene  Event fand unter Einhaltung der geltenden Hygienebedingungen statt und hatte nachweislich keine Covid-19-Infizierungen zur Folge. Neben dem Tragen von Masken wurde auch das lückenlose Registrieren der Teilnehmer durchgesetzt. Awareness-Teams im Einsatz achteten außerdem darauf, dass Besucher die Sicherheitsregeln einhielten. Je nachdem, wo eine bestimmter Teil des Tages durchgeführt wurde (alles unter freiem Himmel bzw. in gut belüfteten Räumen), waren die Gästezahlen an die Platzkapazitäten angepasst.

Neben solch penibel umgesetzten Sicherheitsvorkehrungen fällt es schwer, sich vorzustellen, dass unüberwachte Privat-Veranstaltungen ein geringeres Gesundheitsrisiko darstellen sollen. Und fehlt ein öffentlicher Ort zum kontrollierten Austausch, steigt die Gefahr einer unvorsichtigen Superspreader-WG-Küchen-Party.

Dabei zeigten schon die Statistiken des RKI im Oktober, dass die tatsächlichen Infektionsherde der vergangenen Monate hauptsächlich das private Umfeld betrafen, sowie Privatveranstaltungen in Innenräumen. Deswegen konnten die Berliner Gastwirte erfolgreich gegen die Sperrstunde vor Gericht gehen. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Wirte sei »unverhältnismäßig« gewesen, so die Richter. Es wäre nicht hinreichend dargelegt worden, warum gerade die Sperrstunde ab 23 Uhr den Neuinfektionen wirklich effektiv Einhalt gebieten würde. Diese Art von Nachweis zur angeblichen erhöhten Gefahr durch (im Rahmen der Hygienevorschriften handelnde) Clubs ist die Bundesregierung bislang ebenfalls schuldig geblieben. Das OVG in Münster hat ähnliche Klagen aus Nordrhein-Westfalen übrigens abgelehnt. Man müsse den aktuellen Infektionsverlauf unbedingt stoppen, bevor die Gefahr noch ernster würde.

Es hinterlässt allerdings mehr als nur ein Gschmäckle, wenn die aktuellen Maßnahmen scheinbar nur bestimmte Bereiche einschränken und andere verschonen. Warum etwa sind angeblich geschlossen Räume wie Einkaufszentren, Gottesdienste und Büros weniger bedenklich als Freiluft-Veranstaltungen mit konkreten Abstandsregeln?

Dass aktuell ein Handlungsbedarf besteht, sei außer Frage gestellt. Aber einen Maßnahmenkatalog zu verabschieden, der konservative Werte wie Konsum und Produktivität weit über Kultur und zwischenmenschliches Zusammensein stellt, zeichnet ein Bild unserer Gesellschaft, das der Realität vieler Menschen widerspricht. Dies unterstreicht auch die Clubcommission in ihrer Stellungnahme zur eingangs erwähnten Auflösung der Pornceptual-Party: »Über die Hälfte der Berliner*innen sind Singles, ein großer Anteil ist zugezogen; lebt also nicht mit Partner*in oder Familie zusammen. Der essentielle Teil des sozialen Lebens findet somit nicht in der eigenen Wohnung statt, sondern in Bars, Restaurants, Clubs, Community Spaces und anderen Orten der Begegnung und Kultur. Für viele Mitglieder unserer Gesellschaft sind diese Orte Schutzräume und Zufluchtsorte.« In der Pressemitteilung zum Tag der Clubkultur wird deshalb konstruktiv dazu aufgerufen, zu überlegen »wie wir diese Krise mit gesellschaftlicher Solidarität und Zusammenhalt meistern. Wie wir mehr Testkapazitäten schaffen, mehr Details und Transparenz über Infektionsherde veröffentlichen- und die Gesundheitsämter effizienter arbeiten können«.

Das Absagen einer bestimmten Veranstaltung als geeignete Maßnahme ist dabei natürlich nie ausgeschlossen. Jedoch scheint eine Re-Evaluierung unserer sozialen Räume angemessen. Dort, wo sich die sogenannte »Kernfamilie« aufhält, und wo uns die Regierung in den nächsten Monaten am liebsten sehen würde, findet sich die jüngere Bevölkerung nämlich nicht wieder.

Sollte es wie zu erwarten in den kommenden Wintermonaten weiterhin Einschränkungen des öffentlichen Lebens geben müssen, dann doch bitte fair und gerecht verteilt und auf Grundlage stetiger wissenschaftlicher Erhebungen. Anstatt dem Kultursektor den schwarzen Peter zuzuschieben, während konsum- und produktivitätsorientierte Bereiche vorsätzlich und unbegründet ausgeklammert werden.

Zwar ist das Ende dieser (Identitäts-)Krise noch lange nicht in Sicht, aber vielleicht können wir sie wenigstens dazu nutzen, um veraltete Ansichten den tatsächlichen sozialen Bedürfnissen der Bevölkerung anzupassen.