Die Geschichte anders erzählen

Seit zwei Jahren leitet die Niederländerin Nanette Snoep das Rautenstrauch-Joest-Museum. Im Interview sprich sie über ihr bislang größtes Kölner Projekt: RESIST! Die Kunst des Widerstands

Seit einigen Jahren erleben wir eine intensiv geführte Debatte über die koloniale Vergangenheit und ihre kulturellen Auswirkungen. Erst allmählich wird sie aus Sicht der Kolonisierten erzählt. Nanette Snoep, die von den ethnologischen Museen in Dresden, Leipzig und Herrnhut nach Köln wechselte, bezieht in Sachen Dekolonialisierung, Inklusion und zu dem heiklen Thema Rückgabe geraubter Kulturgüter klar Position. Das Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) befindet sich seit ihrem Amtsantritt in einem Prozess der Erneuerung und Selbstbefragung. Die kommende Ausstellung »RESIST! Die Kunst des Widerstands« ist ein experimentelles und partizipatives Projekt zum Thema kolonialer und postkolonialer Widerstand.


Frau Snoep, wie sind Sie auf das Thema dieser Ausstellung gekommen?

Die Debatte rund um die Auseinandersetzungen zur Kolonialen Vergangenheit, die Restitution von geraubten Kulturgütern in ethnologischen Museen, die Zerstörung von kolonialen Denkmälern, das deutschlandweit erste Verbot des N-Worts durch die Stadt Köln, die weltweite »Black Lives Matter«-Bewegung — das alles sind Themen, die aktuell heftig diskutiert werden. Nichtdestotrotz wird über die koloniale Vergangenheit immer noch sehr wenig aus den Perspek­tiven der Kolonisierten selbst erzählt. Der seit 500 Jahren kontinuierlich geleistete Widerstand gegen koloniale Fremdherrschaft wird kaum beleuchtet. In der Ausstellung »RESIST!« möchten wir deshalb vor allem über die Frauen und Männer reden, die Widerstand geleistet haben, sei es laut oder leise. Es geht um einen Perspektivwechsel, darum, die Nachfahren und Betroffenen sprechen zu lassen und ungehörte Geschichten zu erzählen. Uns interessiert dabei nicht zuletzt die Frage: Was bedeutet denn Widerstand heute?


Können Sie konkrete Beispiele nennen, was genau oder welche Künstler*innen wir in der Ausstellung sehen werden?

Zu sehen sind Arbeiten von 38 zeitgenössischen Künstler*innen aus über 30 Ländern, vor allem im globalen Süden oder aus der Diaspora. Darunter sind zum Beispiel Kader Attia, Kara Walker, Grada Kilomba oder Luiza Prado. Ein Soundarchiv von Rokia Bamba, Urban Dance von Daniela Rodriguez und Bahar Gökten, eine Real Time Documentary von Francis Oghuma, ein digitaler Blog über koloniale Fotografie von Kiri Dalena. Und nicht zuletzt konzipieren »It‘s yours«-Kuratorinnen vier eigene Räume in der Ausstellung: Der Kampf für die Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama ist Thema der namibischen Aktivistinnen Esther Utjiua Muinjangue und Ida Hoffmann. Die Debatte um geraubte Kulturgüter aus dem Königreich Benin (Nigeria) reflektiert die nigerianische Künstlerin Peju Layiwola. Die ungarische Kuratorin Tímea Junghaus befasst sich mit dem Kampf um Selbstbestimmung von Roma und Sinti. Und schließlich klagt der Kölner postmigrantische Verein In-Haus e.V. koloniale Kontinuitäten an.


Inwieweit fließt hier die »Die BAUSTELLE« ein, die Sie als neue Einrichtung der Teilhabe vor genau einem Jahr eröffnet haben?

Ich wünsche mir, dass das Museum ein Ort wird, in dem man sich nicht nur Objekte anschaut, sondern in dem man sich auch begegnen und austauschen kann. Die »RESIST!« Ausstellung hatten wir deshalb zum Anlass genommen, im Museum einen Open Space, »Die BAUSTELLE« zu etablieren. Mit Covid konnten wir sie zwar nur eingeschränkt bespielen, aber wir haben trotzdem sehr schöne Veranstaltungen, viele Erzählcafés und Workshops organisiert. Für »RESIST!« planen wir aber auch ganz neue Vermittlungswege: Formate wie Repair- und Schreibwerkstätten, Erzählcafés oder eine »Library of Resistance« geben Raum für kritische Auseinandersetzung, für das Erzählen und Zuhören, für Vernetzung und Solidarität. Zudem werden sogenannte Livespeaker, oft selber Betroffene von genera­tionsübergreifenden kolonialen Traumata oder Rassismus, regelmäßig in der Ausstellung sein. Man kann sie einfach ansprechen und Nachfragen stellen.


Neben dem Open Space »Die BAUSTELLE« haben Sie das Format »Meet the Director!« eingerichtet.

Bei diesem Termin sind Besucherinnen und Besucher an jedem ersten Donnerstagabend im Monat zu einem persönlichen Gespräch mit mir eingeladen, bei dem sie mir Anregungen geben, Wünsche, aber auch Kritik äußern können. Diese informellen Gespräche sind für mich bereichernd. Bei einem der ersten Termine hat mich jemand am Beispiel seiner Fluchtgeschichte gefragt, ob Überleben nicht auch eine Form von Widerstand sei. Diese Frage hat mich lange beschäftigt — und sie wird jetzt in »RESIST!« thematisiert. Denn es sind genau diese kleinen, individuellen Geschichten, die wir in die Ausstellung einfließen lassen wollten.


Zum Stichwort Restitution: Nachdem die im Nationalsozialismus geraubten oder unter massivem Druck verkauften Kunstgegenstände überprüft wurden und es weiterhin werden, gibt es beim »Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste« nun auch eine Abteilung, die sich speziell um die Provenienz und mögliche Rückgabe von Kolonialgütern kümmert. Wie stehen Sie zur Restitution und damit zur »Entkolonialisierung der Museen«, wie Sie es in einem Interview mit dem WDR gefordert haben?

Die Debatte um Restitution muss stattfinden. Für die Öffentlichkeit ist sie vergleichsweise neu, in den Museen wird aber schon seit Jahrzehnten darüber diskutiert. In vielen ethnologischen Museen gibt es riesige Sammlungsbestände — allein das RJM besitzt über 70.000 Objekte! — mit vielen Gegenständen, die in einem unrechtmäßigen Zusammenhang nach Europa gelangt sind. Darunter sind sakrale Objekte sowie menschliche Gebeine. In Sachsen, wo ich zuvor tätig war, haben wir im Oktober 2017 menschliche Gebeine an Nachfahren aus Hawaii restituiert. Dem voraus gingen 26 Jahre vergeblicher Repatriierungsanfrage von der hawaiianische Seite. Ich war tief berührt von der fast, ja, heilenden Wirkung, die dieser Akt der Restitution für die Delegation aus Hawaii hatte. Auch in Köln gab es bereits eine Repatriierung: Im Juli 2018 wurde ein mumifizierter »Toi moko«-Kopf an Neuseeland zurückgegeben. Vom Beginn der ersten Gespräche bis zur tatsäch­lichen Restitution dauerte es nur ein Jahr. Die Biografie dieses »Toi Moko«-Kopfes, die »heilende« Wirkung seiner Rückgabe und drei weitere spannende Gewschichten von Objekten unserer Sammlung erzählen wir momentan auch in unserer kleinen Ausstellung »Die Schatten der Dinge #1«, die wir bis Frühjahr 2021 verlängert haben.

Ist die öffentliche Sorge von einer »Entleerung der Museen« berechtigt?

Und abschließend: Was sollte Antrieb sein für eine Restitution? Die Angst, dass ein Museum durch Restitutionen vollständig geleert würde, ist unbegründet. In den ethnologischen Museen in Europa befinden sich Millionen von Kulturgütern und nur ein kleiner Bruchteil von rund zehn Prozent wird tatsächlich gezeigt. Tatsächlich gibt es gar nicht so viele Restitutionsanfragen und es geht dabei um sehr spezifische Objekte: sakrale Objekte, Gebeine von Vorfahren, geraubte Objekte aus Königspalästen. Ich befürworte einen transparenten Umgang mit diesem Thema, zumal, das darf man nicht vergessen, jede Restitution für ein Museum auch die Chance birgt, eine neue Beziehung zu der Herkunftsgesellschaft, aus denen die Sammlungen stammen, aufzubauen. Es geht doch darum, einen gemeinsamen Umgang mit diesem Erbe zu entwickeln.

Ausstellung: »RESIST! Die Kunst des Widerstands«, Rautenstrauch-Joest-Museum, Di–So 10–18, Do 10–20 Uhr, jeden 1. Do im Monat bis 22 Uhr.

Live-Speaker jedes Wochenende und 1. Donnerstag im Monat.

Lockdown: Die für November geplante Eröffnung der Ausstellung musste aufgrund der Corona-Schutzverordnung verschoben werden und wird, sobald es die Bedingungen wieder zulassen, nachgeholt. Aktuelles auf museenkoeln.de