Werden pro verkaufte Karte bezahlt: Theaterautor*innen organisieren sich, Foto: Lorelai van Lux

Ohne Theater keine Tantiemen

Gleich zwei neue Interessenvertretungen wollen auf die Nöte von Theaterautor*innen aufmerksam machen

 

Ein Schauspieler im Home-Office — was für ein absurdes Bild. So absurd, dass es wie gemacht scheint, um es auf einer Theaterbühne zu inszenieren. Doch das Bild ist kein Bühnenstoff, sondern zum zweiten Mal in diesem Jahr bittere Realität. Denn erneut hat sich die Bundesregierung aufgrund der steigenden Corona-Infektionszahlen dazu entschieden, die Theater mindestens im November zu schließen. Das trifft nicht nur Schauspieler*innen hart, sondern alle Theaterschaffende. Unter ihnen auch eine Berufsgruppe, die man schon eher im Home-Office vermuten würde: die Autor*innen.

Noch im Oktober haben sie sich in gleich zwei Interessenvertretungen zusammengeschlossen, um auf ihre Nöte aufmerksam zu machen. Anfang Oktober wurde der Berufsverband der Theaterautor*innen gegründet, ein paar Wochen später nahm das Theaterautor*innen-Netzwerk seine Arbeit auf. Die Berliner Autorin Maria Milisavljevic, deren Stück »Beben« 2017 mit Theaterpreisen ausgezeichnet wurde, ist Gründungsmitglied des letztgenannten Bündnisses und bringt die unterschiedlichen Ansätze der beiden Netzwerke auf den Punkt: »Der Berufsverband ist eine juristisch und als Gewerkschaft agierende, und das Netzwerk so etwas wie eine aktivistische Arbeitsgruppe.« Im engen Austausch mit anderen Theaterschaffenden kämpfen beide für bessere Berufsbedingungen in Zeiten des Lockdowns. Denn die Theater werden zwar durch Bund und Länder mit Zuschüssen unterstützt, durch die vor allem Staatstheater den Ruin verhindern können. Doch das Geld landet ausschließlich beim festangestellten Personal an den Häusern, etwa bei Ensemblemitgliedern, die so vor Kurzarbeit und Entlassungen gerettet werden können.

Theaterautor*innen allerdings arbeiten meist als Selbstständige und leben von den Aufträgen der Theater. »In einer solch unsicheren Lage sind die Theater vorsichtiger mit neuen Aufträgen, denn unsere Arbeit kostet natürlich. Im Gegensatz zu den Texten von toten Autor*innen«, erklärt Maria Milisavljevic. Statt neue Stücke auf den Spielplan zu setzen, würden viele Häuser in Corona-Zeiten vor allem auf Kleist und Goethe zurückgreifen. Dazu kommt: Die Haupteinnahmequelle von Autor*innen sind Tantiemen. Sie werden anteilig für jede verkaufte Karte ausgeschüttet.

Selbst ohne Lockdown brechen durch die heruntergefahrenen Publikumskapazitäten in den Häusern große Teile des Einkommens weg. Gleichzeitig fallen Theaterautor*in­nen durch alle Hilfsraster. Die Förderung für Soloselbständige, die während des ersten Lockdowns aufgelegt wurde, kam kaum bei freischaffenden Künstler*innen an. Die bürokratischen Hürden waren hoch, selbst wenn sie überwunden waren, reichte das Geld gerade zur Deckung der Betriebskosten. »Die Förderprogramme von Bund und Ländern sind an unserer Lebensrealität vorbei gegangen«, meint auch Maria Milisavljevic. Ein neues Förderprogramm verspricht Besserungen. Doch wie effektiv das wirklich ist, weiß noch niemand.

Auch für den Kölner Dramatiker David Gieselmann, der während des Lockdowns im Frühjahr mit seinem Internet-Stück »Hanna Silber« für Furore sorgte, ist die finanzielle Situation das drängendste Problem. Er ist Vorsitzender des Verbands der Theaterautor*innen und fordert Solidarität von den Theaterhäusern: »Zahlt uns die Vorstellungen, die im November stattgefunden hätten, trotzdem aus«, appelliert er in Richtung der Theaterhäuser. »Für die Theater ist das nicht viel Geld. Und für uns Theaterautor*innen käme wenigstens ein Honorar zusammen, sodass der November nicht ganz so dramatisch aussieht.« Er selbst komme zwar glimpflich durch den zweiten Lockdown, da ihm kein ganzes Stück weggebrochen sei. »Das ist aber bei vielen Kolleg*in­nen zu Hauf passiert. Die finanziellen Einbußen sind dann enorm.«

Neben finanziellen Fragen geht es Gieselmann und seinem Verband auch um Sichtbarkeit: Denn Theaterautor*innen sitzen zwischen den Stühlen. »Es gibt viele Menschen, die gar nicht genau wissen, wie wir arbeiten und wie wir uns finanzieren. Selbst in gestandenen Theaterkreisen wissen einige nicht, dass wir pro verkaufter Karte bezahlt werden.« Bei der Verbandsarbeit ginge es also auch darum, zu informieren — über den Beruf und die Arbeitsbedingungen, die mit ihm einhergehen. »Wir wollen auf unsere Lage aufmerksam machen.«

Um das zu erreichen, will der Verband langfristig auch juristische Beratungen anbieten. Etwa um Theaterautor*innen bei Vertragsverhandlungen mit Verlagen und Theatern zu unterstützen. »Momentan ist unsere Arbeit aber natürlich von der Corona-Situation komplett überlagert.« Doch viele Fragen und Probleme, die die Pandemie in der Theaterszene aufgeworfen haben, bleiben auch danach relevant, meint Gieselmann. Die Sichtbarkeit in der Szene und darüber hinaus, das Tantiemensystem und das Verhältnis zu den Theaterhäusern — Maria Milisavljevic und David Gieselmann sind überzeugt, dass es auch in Zukunft viel zu tun gibt.